Vorwort
Wenn es dunkel ist und nur eine Kerze ihr Licht verbreitet, dann sind die tanzenden Schatten die Protagonisten dieser Geschichte. Wann, lieber Leser, hast Du das letzte Mal eine Geschichte mit einer Taschenlampe bewaffnet unter der Bettdecke gelesen? Wann hast Du dir das letzte Mal eine „Höhle“ gebaut, um dich dahin zurückzuziehen, damit Du in Deiner Phantasie auf eine Abenteuerreise gehen kannst? Wann warst Du das letzte Mal der Held in der Geschichte? Lass Deine Pflichten und Sorgen für kurze Zeit hinter dir und werde Teil einer Geschichte, welche Dich entführen soll in ein Land und eine Zeit, in der alles möglich ist.
Die nachfolgende Geschichte spielt in Elona vor den Gildenkriegen. Abaddon ist der Gott der Geheimnisse und die Menschen führen ein karges, aber selbstbestimmtes Leben. Die Herrscher am Großen Hof von Sebelkeh tragen Reichtümer zusammen, und einmal im Jahr feiern alle das Fest der Lyss im Garten von Seborhin. Und dann passieren Dinge, so geheimnisvoll wie der Gott der Geheimnisse selbst, und ich habe mich gefragt, kann so etwas Zufall sein oder ist es doch alles Absicht?
Ich wünsche viel Spaß beim Lesen der Geschichte und vielleicht, nur vielleicht, weißt Du anschließend, ob alles einem großen Plan folgt oder nicht.
Das Geheimnis von Abaddon
„Raus! Du bist ein Betrüger an der Kunst der Nekromantie! Wir, die Gildenmagier, verbannen dich auf ewig aus unserer Zunft. Keiner soll dich jemals mehr als Nekromanten anerkennen.“ In dieser Sekunde schlägt ein Blitz in den Stab vom alten Zun ein und spaltet ihn. „Seht“, ruft es da vom hohen Turm, „Grenth selbst bestätigt unser Urteil.“ Es fängt an zu regnen und das fahle Mondlicht erhellt für einen Augenblick das bleiche Gesicht von Zun. Unter dichten Augenbrauen sitzen zwei kalt leuchtende Augen, die einen kurzen Moment wie im Feuer auflodern. Dann kehrt das Schwarz in ihnen zurück. Der Mundwinkel, der von einem langen, schwarzen, zerzausten Bart eingerahmt wird, zuckt kurz, doch dann kommt wider Erwarten kein Ton hervor. Ein letztes mal schaut er auf die Gildenmagier, die ihn soeben aus ihren Reihen verbannten. Und wofür? Weil er das Blut eines Kindes vergießen wollte. Diese Kleingeister verstanden nicht, dass kraftvolles Blut noch übertroffen werden könnte, wenn das Blut eines unschuldigen Kindes geopfert würde. Er war so kurz davor gewesen, endgültig unsterblich zu werden. Egal, was ihn verletzt hätte, er wäre wieder auferstanden. Die Seiten im Almanach der Unsterblichkeit aus der Bibliothek des Abaddon waren eindeutig. Unter unsäglichen Qualen hatte er diesen Almanach aus der Bibliothek der Götter gestohlen und jetzt war alles umsonst! Zun zieht seine Kapuze tiefer in das Gesicht und verlässt den Schauplatz. Flüche und letzte böse Worte, die hinter ihm hergerufen werden, prallen einfach an ihm ab.
Der Himmel verdunkelt sich weiter und der Regen wird stärker. Es dauert nicht lange, und Zuns Kutte ist so durchnässt, dass jeder weitere Tropfen direkt auf seine nackte Haut durchdringt. Wie Rinnsale fließt das Wasser an ihm herab, doch dort, wo es den Boden berührt, zischt es kurz und die Erde wird pechschwarz. Das war einer der Preise, welche er für den Zugang zur Bibliothek des Abbadon zahlen musste. Jeder Wassertropfen, der den Körper von Zun berührt, wird zu einer Säure, die alles auflöst, was sie erreicht. Für Zun spielt dies keine Rolle. Er ist verbittert.
Ich war so nahe dran!, denkt Zun bei sich. Sie haben mir alles genommen! Jahrzehnte der Forschung. Die Körperteile, die ich opfern musste, die Verwandlungen, die ich überstehen musste, um in die Bibliothek zu kommen. Die Tränke, die mich verändert haben. All die Schmerzen! Zun schaut in den Himmel und setzt zu einem Schrei an. Schon bei den ersten Tönen fallen Vögel tot vom Himmel. Die Bäume rascheln mit ihren Ästen und die Blätter werden schwarz und zerfallen auf dem Weg zum Boden einfach zu Staub. Dabei schreit Zun nur ein einziges Wort: „RACHE!“ Er will Rache an denen nehmen, die ihn verstoßen haben. Der Almanach der Unsterblichkeit! Ich will ihn zurück! Der Wind drückt seine Kapuze nach hinten und legt sein Gesicht frei. Bei jedem Windstoß, der den Regen noch heftiger gegen ihn prasseln lässt, zischt es laut und unheimlich. Zun schaut zum Mond und für einen winzigen Augenblick sieht es so aus, als würde der Mond ihn angrinsen. Da reißt Zun die Reste seines Stabes hoch und ruft: „Abaddon, Gott der Geheimnisse, du hast nicht nur den Almanach der Unsterblichkeit verloren sondern auch das Rezeptbuch zu Seelenbinder. Ich schwöre, ich werde diesen Dolch bauen und mich mit ihm verbinden. Er wird meine Rache sein für das, was die Gildenmagier mir angetan haben!“ Da erscheint auf dem Mond die Abbildung eines Margoniters, eines treuen Dieners des Gottes Abaddon. Zun weiß, der Diebstahl der Bücher ist bemerkt worden und er hat nur noch wenig Zeit, die Macht zu nutzen. So aktiviert er das Siegel der Heuschrecke, das auf seinen Körper tätowiert ist, um so schnell wie möglich sein Haus im kleinen Dorf Dschalalabad zu erreichen.