Die Drachenwacht, vielleicht berühmteste Gilde Tyrias, hat die Welt schon öfter gerettet, als so mancher Skritt zählen kann. Und sie sieht sich einer neuen Herausforderung gegenüber. Ein altbekannter Feind nutzt geschickt einen ihrer eigenen Pläne aus, um Zwietracht unter den Gildenmitgliedern zu säen.
Wie wird die Gilde darauf reagieren? Wie wird sie diesen Feind schlagen, der droht, alles zu vernichten, was so mühsam aufgebaut wurde? Und wie sieht dieser Plan aus, der die Drachenwacht droht auseinanderzureißen?
Die Geschichte beginnt im Auge des Nordens …
Kapitel 1: Das Auge des Nordens
Mit langsamen Flügelschlägen glitt Aurene hinab zu ihrem Hort im Auge des Nordens.
Sie hatte einen kleinen Jagdausflug gemacht. Das machte sie öfters – zum einen, um nicht ständig nur in ihrem Hort zu sein, zum anderen, um ihre Flügel nicht verkommen zu lassen und weil sie das Fliegen liebte, und zuletzt, weil sie den Geschmack von frischem Fleisch kaum widerstehen konnte. Nicht, dass sie wirklich fressen musste, um zu überleben. Ihre eigentliche Energie bekam sie durch die Absorption der Magie aus den Ley-Linien, aber wozu hatte man denn ein Maul voller Zähne und eine Zunge, die schmecken konnte, wenn man diese nicht hin und wieder mal benutzte?
Und von so einem Ausflug kehrte sie gerade wieder zurück.
‚Dieser Hirsch war wirklich ein Prachtexemplar‘, dachte sie, während die Erinnerung des Geschmacks auf ihrer Zunge noch nachhallte. ‚Sehr saftig und man hat die Kräuter der Gegend sogar schmecken können, von denen er sich ernährt hatte.‘
Beim Sinkflug achtete sie darauf, dass ihre Flügel nicht die Wände streiften. Sie würde zwar kaum mehr abbekommen als ein paar Kratzer, aber der Juckreiz bei diesen Wunden war für Aurene schon immer sehr unangenehm und eine Ablenkung gewesen.
Als sie sicher auf ihrem Hort gelandet war, gähnte sie. Ihr Maul klappte auf und die Zunge rollte sich langsam heraus. Ein leises Grollen entwich ihr. Dann rollte sie sich ein und schloss halb ihre Augen. Aus dieser Pose heraus beobachtete sie das Treiben um sich herum.
Im Auge des Nordens hatte sich viel getan. Als sie und die Drachenwacht am Anfang hier eingezogen waren, war es leer und trostlos gewesen. Der Wind hatte einsam durch die Hallen gepfiffen und nur ein paar Krähen waren hier zu finden gewesen. Inzwischen sah man ständig Sylvari, Charr, Zentauren, Menschen, Geister und gelegentlich sogar ein paar Skritt hier herumlaufen. Die Einsamkeit war aus dem Auge verbannt worden und rege Betriebsamkeit herrschte nun, wohin man auch blickte.
Links neben ihr hockte Bangar in seinem Käfig. Hin und wieder sprach sie mit ihm, teilweise aus Langeweile, teilweise weil sie hoffte, mit Jormag zu sprechen und Informationen über ihren Plan zu erhaschen. Aber es war ein zweischneidiges Gespräch, denn Jormag versuchte ihrerseits natürlich auch, Informationen aus Aurene herauszubekommen. Aurene war sich oft unsicher, wie viel sie verborgen halten konnte und wie viel sie unwissentlich doch preisgab, denn Jormag hatte viel mehr Erfahrung als sie und war in dieser Art von Gesprächen besonders talentiert. Aber zur Zeit schlief der von Eis ummantelte Charr eingerollt auf dem Boden der Zelle.
Etwas weiter hinten, auf der anderen Seite des Teiches, direkt vor Aurenes Hort, sah sie die Drachenwacht in einem lockeren Kreis herumstehen. Ihre Freunde, die alles taten, um Tyria zu retten, und die Aurene dabei halfen, ihre Aufgabe als Alt-Drache zu bewältigen; die ihr halfen, die Einsamkeit in ihrem Herzen zu mildern und ihr ein Gefühl von Zugehörigkeit gaben, unabhängig davon, was ihre Artgenossen der Welt schon angetan hatten.
Dass sie im Gegenzug ihre eigene Rasse der Alt-Drachen stark dezimierten, war für Aurene auf der einen Seite natürlich vollkommen verständlich, auf der anderen Seite hieß es aber, dass sie sich immer einsamer fühlte, denn trotz der Freundschaft zur Drachenwacht war Aurene immer noch ein Alt-Drache und somit in sehr vielen Belangen vollkommen anders als die Menschen oder Asura.
Sie wusste nicht viel über ihre eigene Rasse. Auch deswegen suchte sie immer wieder das Gespräch mit Jormag, um mehr über sich und die anderen ihrer Art herauszufinden.
Aber solange sie die Drachenwacht um sich hatte, konnte sie mit dieser Wissenslücke leben.