Ostern 2018: Geschichte – Ei 2: Melandru

12. Die Reise zur Fluchküste

Grimma, Isengora und Silas haben in der Vergangenheit des Öfteren das neue Löwenstein besucht. Die Priester hatten ihnen erklärt, es gehöre dazu, sich ihren Ängsten von damals zu stellen. Blödsinn, haben alle drei gedacht, aber um mal etwas anderes zu sehen, sind die drei mitgelaufen und haben dabei ganz Löwenstein erkundet. Eine Sache, die ihnen jetzt noch sehr helfen sollte. Kurz nachdem die drei die Nester mit den Adler-Greifen hinter sich gelassen haben, bereiten sie sich auf den Transport nach Löwenstein vor. Es funktioniert ganz einfach. Die Asura haben vor vielen Jahren ein Netz von Wegpunkten in ganz Tyria aufgebaut. Jeder, der es benutzen will, muss einmal den Wegpunkt, zu dem er teleportieren will, persönlich anlaufen und berühren. Dadurch werden seine Hirnstrom-Daten hinterlegt, was dann als Nutzungsberechtigung fungiert. Je mehr Wegpunkte jemand besucht, desto mehr Wegpunkte kann er anschließend direkt anspringen. Um sich ins Netz einzufädeln, reicht ein kleiner Apparat, der von den Asura verschenkt wird. Man zieht zwei Rollen auseinander und die Karte von Tyria erscheint mit allen Wegpunkten, die man bisher zu Fuß besucht und aktiviert hat. Dann sucht man sich seinen Wegpunkt aus und schon baut das kleine Gerät ein Feld auf, das einen in das Asura-Transportnetz zieht und zur gewünschten Wegmarke teleportiert. Einen Haken hat die Geschichte allerdings, jeder Transport kostet Gold und je weiter die Wegmarke entfernt ist, desto teurer ist die Reise. Im Fall unserer drei Freunde sind es 1,73 Silber pro Person.

Zur Mittagszeit kommen die drei an der Wegmarke Blutküste-Bezirk in Löwenstein an. Die Sonne scheint, aber durch die Jahreszeit des Kolosses ist es trotzdem bitterkalt. „War jemand von Euch schon mal an der Blutstromküste?“, fragt Silas seine beiden Mitstreiterinnen. Grimma schüttelt nur den Kopf, während Isengora meint: „Ich habe Geschichten und Gesänge von Skalden gehört. Es sollen dort drei Würmer hausen, bekannt als ‚der Dreifache Ärger‘. Größer und stärker als Issormir, der Wurm in den Wanderer-Hügeln. Ich habe mir vorgenommen, wenn das alles hier vorbei ist, ihn aufzusuchen und meine Legende damit zu beginnen, dass ich ihm alle drei Köpfe abschlagen werde.“ – „Na dann los“, meint Grimma, „die Zeit läuft gegen uns.“ Einige Minuten später erreichen die drei die Grenze und verlassen damit Löwenstein in Richtung Süden.

An der Sturmklippen-Insel treffen die drei auf Agentin Yinn vom Orden der Gerüchte.

„Exzelsior, Agent Ihan hat alle Agenten vom Orden instruiert, dass Ihr vorbei kommen könntet. Wir sollen Euch helfen mit einem kurzen Bericht zur Lage auf dem Gebiet.“ – „Na, dann leg mal los“, meint Grimma, „wir sind schon ganz gespannt.“ – „Eine Frage habe ich, bevor wir loslegen“, meint der Agent und schaut Grimma von der Seite an. „Wart Ihr früher vielleicht mal Reittiere für uns Asura?“ Die Augen von Grimma weiten sich, von Silas kommt ein „Wow“ und Isengora kommentiert das Ganze mit einem „Oh, oh“. Schon raufen am Boden zwei ineinander verknotete Staubwirbel. Zwischen einem gelegentlichen „Au“ und einem „Dir beiße ich die Ohren ab!“ ist nicht viel zu erkennen. Nach etwa zwei Minuten trennen sich die Staubwirbel von einander und während Grimma sich die Pfoten leckt, sieht der Agent des Ordens ziemlich zerschunden aus. Dann holt er ein Tablet raus und notiert sich darauf einige Sätze. „Was hast Du dir aufgeschrieben?“, fragt Grimma argwöhnisch. „Ich habe das Ergebnis meines Experimentes notiert. Charr sind nicht als Reittiere für Asura geeignet.“ Grimmas Augen blitzen auf, aber dann bleibt sie doch ruhig. „Also, was hast Du uns zu sagen?“ – „Euer Weg führt Euch ein Stück nach Südosten, Richtung der Remanda-Flächen. Wenn Ihr den Wegpunkt erreicht habt, geht es weiter Richtung Südwesten. Bis heute Abend solltet Ihr bei den Wachsamen der Fördenmündung sein. Die Wachsamen, die dort stationiert sind, werden Euch Unterkunft und Verpflegung bieten und Euch den weiteren Weg zeigen.“ – „Mit welchen Gefahren müssen wir unterwegs rechnen?“ – „Piraten machen das Gebiet unsicher, aber nach dem Ergebnis des Experiments von vorhin mache ich mir da wenig Sorgen.“ – „Sonst noch etwas, was wir wissen sollten?“, kommt die Frage von Isengora. Agentin Yinn schüttelt den Kopf und so ziehen die drei weiter ihrer Wege. Es dauert auch nicht lange, bis sie auf die erste Dreiergruppe Piraten treffen. Es wird ein kurzer Kampf, der sich aber schon alleine wegen der Beute lohnt. Isengora grinst und meint: „Das sollten wir öfter tun. Es füllt unsere Kasse und lässt uns schneller Reisen.“ Silas und Grimma nicken und so nehmen sie alle Möglichkeiten wahr, Piraten zu besiegen und ihnen die Beute abzunehmen, bis sie bei den Wachsamen der Fördenmündung bei untergehender Sonne ankommen. Recke Zepp kommt ihnen aus einem Zelt entgegen, als sie den Strand entlanglaufen. „Exzelsior …“ – „Ohh nö“, kommt da von Grimma. „Schon wieder eine Rennmaus. Wenn der auch an mir experimentieren will, dann haben die Wachsamen bald einen weniger.“ Doch überraschenderweise wendet sich Recke Zepp Isengora zu. „Was bist Du denn für ein großes Mädchen? Mhhh, für einen Menschen bist Du zu groß, bist Du eine Norn?“ Lachend geht Isengora auf die Knie. „Sei mir gegrüßt, Du Sandfloh, ich bin Isengora vom Soderhem-Gehöft aus den Schneekuhlenhöhen. Willst Du bei mir auf der Schulter sitzen?“ Recke Zepp wird ganz rot vor Freude und wackelt mit den Ohren. „Ihan hat mir per Asura-Mail eine Nachricht zukommen lassen, dass Ihr unterwegs seid zu uns. Ihr habt Glück, heute morgen erst konnte nach langem, hartem Kampf der Dreifache Ärger besiegt werden. Von daher ist das Gebiet im Augenblick relativ ruhig.“ – „Wir brauchen nur einen Platz zum Schlafen und etwas zum Essen, kleiner Freund“, erzählt Isengora. „Dafür ist bereits gesorgt. Ein Zelt ist für Euch reserviert. Lasst euch nicht täuschen, dank Asura-Technologie ist es innen viel größer als von außen. Wir nennen das ‚transdimensionale Raumverfaltung‘. Wenn Du möchtest, erkläre ich Dir das Prinzip ganz genau.“ Da werden die Augen von Isengora plötzlich groß und sie schüttelt so energisch den Kopf, dass Zepp von ihrer Schulter runterfliegt. Im letzten Moment kann sie ihn mit der rechten Hand gerade noch so auffangen. „Bitte entschuldige“, stammelt Isengora, doch Zepp tut so, als ob nichts gewesen wäre. „Also sehen wir uns heute Abend noch?“, fragt er mit hochrotem Kopf. „Mal sehen“, kommt die Antwort von Isengora, „jetzt allerdings würden wir gerne einmal raus aus unseren Rüstungen und baden, wenn es in Ordnung ist.“ – „Aber sicher doch. Und wenn Du möchtest, hier in der Nähe ist ein kleiner See. Ich kann meinen Tauchsieder mitbringen und den See auf die Temperatur bringen, die Dir angenehm ist.“ Silas und Grimma können sich vor Lachen kaum halten und nutzen die Gelegenheit, ins Zelt zu verschwinden. Das Wort „Verräter“, das Isengora hinter den beiden herruft, bekommen sie schon nicht mehr mit.

Die Sonne verschwindet hinter dem Horizont und Silas und Grimma fallen schon die Augen zu, aber trotzdem versuchen sie krampfhaft wach zu bleiben und auf Isengora zu warten. Es muss Mitternacht sein, als Isengora dann endlich ins Zelt kommt. Das Licht geht an und zwei neugierige Gesichter enthüllen ihre Neugier. „Na los, erzähl schon“, kommt von Silas. „Wie war es?“ – „Ihr gemeinen, hinterhältigen Verräter“, kommt da von Isengora. „Ich musste über eine Stunde laufen, um an den See zu kommen. Dann hat er wirklich einen atomar betriebenen Tauchsieder rausgeholt und das Wasser im See auf 43 °C aufgewärmt. Für mich war es angenehm, bis auf die Fische, die plötzlich alle mit dem Bauch nach oben im See schwammen. Auf jeden Fall musste ich mir dann drei Stunden asurische Harfenmusik anhören. Der kleine Wicht hat sich tatsächlich Hoffnungen gemacht, ich könnte seine Freundin werden.“ An der Stelle brechen die beiden in schallendes Gelächter aus, was Isengora dazu bringt, sich beleidigt zurückzuziehen und still vor sich hin zu murmeln: „Aber süß war er trotzdem irgendwie. Ich glaube, er bekommt wenigstens einen Abschiedskuss von mir.“ Wenig später geht das Licht aus und alle schlafen endlich ein.

Am nächsten Morgen, treffen sich Grimma und Silas mit Recke Yipp, um den weiteren Weg zu besprechen. „Euer Weg geht weiter über die Challdar-Schlünde und die Geisterläufer-Wälder zur Wegmarke Wisperwille. Dort habt Ihr die Möglichkeit, in den Funkenschwärmersumpf zu wechseln. Den letzten Tipp, den ich Euch dann noch geben kann, ist, geht ein kurzes Stück nach Westen zum Fort Gleichschritt. Die Wachsamen, die dort stationiert sind, können Euch weiterhelfen. Ich werde sie per Rabe über Eure Ankunft informieren.“ – „Wir danken Dir, Recke Yipp“, antwortet Silas. „Doch bitte, gestatte uns die Frage, wo ist unsere Freundin Isengora?“ Von Yipp kommt ein „Oh“ und plötzlich wird Yipp ganz rot im Gesicht. „Ich glaube, jetzt weiß ich, was Zepp mit den Harpyien-Pheromonen wollte. Bitte entschuldigt mich, ich bin gleich wieder da. Xutt, komm mit, wir müssen schnellstens einen Auftrag erledigen und der wird gefährlicher als die Untersuchung des gruseligen Strandes.“ Eine halbe Stunde später kommt eine sichtlich verstörte Isengora zurück zum Zelt. Die fragenden Blicke ignoriert sie und meint einfach nur: „Lasst uns gehen.“ Im Hintergrund hört man leises Schreien, doch die Worte sind kaum zu verstehen und verschwinden nach wenigen Schritten ganz. Die Reise geht weiter.

Wie angekündigt kommen die drei nach dem Wegpunkt Wisperwille schnell zum Durchgang, der sie in den Funkenschwärmersumpf bringt. Isengora ist noch immer schweigsam und trottet den anderen hinterher, so dass Silas diesmal die Führung der Truppe übernimmt. Als die Sonne am höchsten steht, erreichen sie Fort Gleichschritt, wo sie von Reckin Deeta in Empfang genommen werden. „Ihr kommt zu einer ungünstigen Zeit. Wir erwarten jeden Moment den Angriff der Aschewolke, ein Schiff voll mit Untoten, das nur das Ziel kennt, uns Fort Gleichschritt wieder wegzunehmen. Also passt auf und hört zu, ich habe keine Zeit, mich zu wiederholen.“ – „Nett, wirklich nett hier“, kommt da von Isengora. „Die Wachsamen haben keine Zeit, nett zu sein. Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen“, kommt es postwendend von Deeta zurück. „Also, passt auf. Euer Weg führt Euch schnurgerade nach Süden. Über Toades Kopf, weiter zum Donnertroll-Sumpf, um schließlich bei der Wegmarke Brackwasser anzukommen. Immer nur nach Süden, hört Ihr? Keinen Schlenker nach links oder nach rechts. Wir haben weder Zeit Euch zu retten noch Euch vom Boden auf zu kratzen. Noch Fragen?“ – „Ja, eine“, kommt da von Isengora. „Verbietet Euch General Seelenhüter Freundlichkeit oder ist sie Dir bei Deiner Geburt in den Bitterfrost-Grenzladen eingefroren?“ – „Für diese Frechheit müsste ich Dich fordern, aber wie gesagt, ich habe zu tun. Also macht euch auf dem Weg!“ Um die Wachsamen nicht weiter zu provozieren, ziehen Grimma und Silas Isengora weg und suchen sich ihren Weg Richtung Süden. „Einen Vorteil hat der Weg“, meint Silas. „Es ist ruhig und wir kommen gut voran.“ – „Was heißt hier ‚gut voran‘?“, meckert Isengora. „Es ist sterbenslangweilig und Loot für unsere Taschen ist auch nicht in Sicht.“ Dies ändert sich erst, als die Gruppe doch mal einen Schlenker Richtung Westen macht und das Gebiet um den Stein von Hazaan betritt. Aus allen Ecken kommen plötzlich Untote. Am schlimmsten sind die Hylek mit ihren Blasrohrwaffen. Isengora ist nur noch mit Schutz- und Heilzaubern beschäftigt, während Grimma und Silas eine Attacke nach der anderen starten. „Es sind zu viele“, ruft Isengora, „und vor allem stehen sie scheinbar immer wieder auf.“ – „Du wolltest doch Loot, jetzt hast Du ihn“, kommt der Ruf von Silas zwischen zwei Lavafontänen. Da schreit Grimma: „Vorsicht, eine Abscheulichkeit!“ Wie eine Dampfwalze schiebt sich das Monster an Büschen und Bäumen vorbei direkt auf Silas zu. Isengora ist zu langsam und kann keine Linie der Abwehr ziehen. Mit voller Wucht rennt die Abscheulichkeit Silas um, der wie ein welkes Blatt durch die Gegend fliegt. „Wir müssen weg hier“, schreit Grimma. Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung schnappt sich Isengora Silas und rennt mit ihm los. Grimma setzt Fallen und Pfeilhagel ein, um ihren Rückzug zu decken. Keuchend und kraftlos kommen sie irgendwann im Dorf Trockengrund am Donnertroll-Sumpf an. Die Sylvari hier empfangen sie freundlich und bieten sofort ihre Hilfe an. „Bitte“, sagt Isengora, „unser Freund ist verletzt. Ich kann ihm nicht genug helfen.“ Der Hauptmann der Sylvari nickt und sagt: „Wer an die Tür des Blassen Baums in Frieden klopft, der soll Hilfe und Gastfreundschaft empfangen. Wir teilen gerne das Wenige, was wir haben. Wie ich sehe, ist Eure Rüstung beschädigt. Geht zu Amand, er wird sie reparieren. Wir treffen uns später im dritten Baumhaus, wo Ihr euch ausruhen könnt. Jetzt aber werde ich mich erstmal um Euren Freund kümmern. Ich spüre mehrere Knochenbrüche, dazu Schwäche und Vergiftung. Ich werde mich darum kümmern. Die Mutter hat mir alles beigebracht, was ich wissen muss.“ Isengora legt Silas auf den Arm des Hainhüters, der sich umdrehen und weggehen will, als Isengora noch eine Frage durch den Kopf schießt. „Hainhüter, ich bin Wächterin in Ausbildung. Darf ich zusehen und lernen?“ Der Hainhüter nickt. „Aber es ist wichtig, dass Du die ganze Zeit schweigst. Nur beobachten, egal, was passiert.“ Isengora verspricht zu schweigen und folgt anschließend dem Hauptmann, der Silas immer noch auf dem Arm trägt, in den Baum. Der Sylvari legt Silas auf den Boden und beginnt, seine Rüstung zu lösen. Stück für Stück zieht er den Jungen aus, bis er ganz nackt vor ihnen auf dem Boden liegt. Sein ganzer Körper ist von blauen Flecken, aufgerissenen Stellen und Wunden, die sich entzündet haben, übersät. „Ein guter Heiler muss gleichzeitig auch immer ein guter Koch sein“, erzählt der Hauptmann. „Was die Magie nicht schafft, ersetzt die Natur. Die offenen Wunden werden wir mit Zitronen-Sahnesoße behandeln. Die Zitrone wird die Entzündung bekämpfen und die Sahne wird die Wunden kühlen. Zum Verbinden nehmen wir die Blätter von einem Salatkopf. Die blauen Flecken behandeln wir mit Winterbeerensoße. Der Essig darin wird den Bluterguss auflösen und die Winterbeeren werden dafür sorgen, dass die Muskeln darunter sich entspannen können. Um die volle Wirkung zu erzielen, werden wir noch Thymianblätter benutzten, damit die Winterbeerensoße ihre Wirkung auch wirklich voll entfalten kann. Wegen der Schwäche und der Vergiftung werden wir ihm eine Geflügel-Lauchsuppe kochen. Dies wird beide Zustände schnell stoppen. Bleiben zum Schluss die Knochenbrüche. Hier kommst Du ins Spiel, Isengora. Leg Deine rechte Hand auf seine Brust. Ganz vorsichtig, Du weißt, er ist zerbrechlich unter Deiner Kraft. Mit der linken Hand halte seinen linken Arm. Spürst Du seinen Herzschlag? Spürst Du, wie das warme Blut durch seine Adern fließt? Spürst Du seine Knochen?“ Isengora will den Mund aufmachen, aber der Sylvari schüttelt nur den Kopf. Es dauert, aber dann ja, sie spürt, was er meint. Da ruft der Sylvari: „Jetzt!“, und Isengora schreit: „Erhaltet das Licht!“ Ein Strom weißer Energie entspringt ihrem Arm und fließt durch Silas‘ Körper. Der Junge stöhnt und sein Körper biegt sich in der Mitte plötzlich in die Höhe. „Nicht loslassen!“, ruft der Sylvari. Da fällt der Körper von Silas zurück und entspannt sich. Die Energie aus Isengoras Arm verschwindet mit dem letzten Puls und sie fühlt eine unheimliche Schwäche in sich. „Du hast es geschafft“, kommt da von dem Hauptmann der Sylvari. „Morgen früh wird es ihm deutlich besser gehen. Aber jetzt solltest auch Du schlafen.“ Mit wackligen Beinen steht Isengora auf und läuft unsicher auf das Wohnbaumhaus zu. Mit letzter Kraft sucht sie sich einen Platz zum Schlafen, um dann sanft und traumlos nichts mehr zu bemerken.

Am nächsten Morgen als Isengora die Augen aufmacht, sieht sie ein Gesicht vor sich. Erst noch sehr undeutlich, weil die Müdigkeit immer noch in den Augen brennt. Doch dann kommt die Erkenntnis. „Silas!“ In Unterwäsche sitzt der Junge vor ihr und grinst sie an. „Ja, so heiße ich.“ – „Wie geht es Dir?“, fragt Isengora. „Dank Dir wieder gut.“ Für einen Augenblick verfinstert sich das Gesicht von Silas. „Als die Abscheulichkeit mich umgehauen hat, dachte ich, dass ich nie wieder aufstehen werde. Der Schmerz war unbeschreiblich und auf seinem Höhepunkt wurde alles schwarz für mich. Dann wachte ich doch heute morgen auf und bis auf ein paar schmerzende Stellen geht es mir gut. Der Hauptmann der Sylvari hat mir anschließend alles erzählt und ganz besonders betont, was Du alles für mich getan hast. Ich danke Dir, Isengora.“ – „Es ist unser Kampf und unsere Legende. Du gehörst mit dazu und so kann ich Dich ja nicht einfach sterben lassen, oder?“ Dabei grinst Isengora schelmisch und meint: „Außerdem hast Du nackt so süß ausgesehen wie ein frisch geschlüpftes Veteran Wurm-Junges.“ Silas wird schlagartig rot und verabschiedet sich. Das Lachen von Isengora klingelt noch lange in seinen Ohren.

Nach einem guten Frühstück bedanken sich alle noch einmal herzlichen für die Gastfreundschaft, bevor sie weiterziehen. An Dschungel-Trollen und Sumpfwasser-Skalen vorbei geht es weiter Richtung Süden. Noch am Vormittag, bei für die Jahreszeit recht milden Temperaturen, erreichen die drei dann die Grenze zur Meerenge der Verwüstung. „Wenn wir hier jetzt durchgehen“, so Grimma, „kommen wir in ein Gebiet, das voll und ganz von Untoten beherrscht wird. Wir haben im Funkenschwärmersumpf erlebt, was passiert, wenn eine Abscheulichkeit uns umrennt. Stellt euch vor, wir haben zwei oder noch mehr davon. Ich bin der Meinung, wir sollten zum Fort der Dreifaltigkeit gehen und uns einer Karawane anschließen, die Nachschub bringt. So kommen wir weiter bis zu Malchors Sprung. Was meint Ihr?“ Isengora hebt den Arm: „Ich schließe mich an.“ Silas nickt nur. „Also gut, dann ab Richtung Südosten. Wir sollten gegen Nachmittag im Fort sein.“

Es geht an alten Bäumen und stacheligen Sträuchern am Brombeer-Pass vorbei, als Grimma die Nase in die Luft hält. „Riecht Ihr das auch? Tod und Verwesung liegen in der Luft.“ Plötzlich tauchen Wachsamen-Recken neben ihnen auf. „Die Untoten kommen!“, schreien sie aus vollem Hals und schon sind unsere drei Helden wieder im Kampfmodus. Macht stacken, Pfeile auflegen, Frostgeist beschwören, Feuereinstimmung und los geht‘s. Der erste Untote verbrennt in einer Lavafontäne. Die Zustände, die von den Untoten rausgehauen werden, nimmt Isengora sofort wieder runter. Da nageln die Pfeile von Grimma den nächsten Untoten an die Felsen. „Isengora“, ruft Grimma, „ich brauche Heilung für den Recken hier“, und schon liegt ein Lichtfeld unter dem Recken und nimmt ihm einen Teil seiner Verletzungen. Ein dankbares Nicken vom Recken, zu mehr ist noch keine Zeit. Da kommt ein Meteorschauer runter und zwei weitere Untote sind Geschichte. So langsam bekommt die Gruppe Luft, so dass die anderen Untoten leichter endgültig zu töten sind. Isengora wechselt auf das Großschwert und köpft damit den letzten Untoten. Dann kehrt Ruhe ein. Die Wachsamen versammeln sich wieder, stellen sich in Formation und marschieren davon. „Wenigstens ‚Danke‘ hätten sie sagen können, oder?“, meint Silas. „Sie sind im Krieg“, meint Grimma, „und jeder Tag kann ihr letzter sein. Ich will nicht mit ihnen tauschen.“ So ziehen die drei weiter und noch am Vormittag erreichen die drei das Fort der Dreifaltigkeit. Nachdem die Taschen geleert und alles verkauft wurde, gehen Isengora, Silas und Grimma zu Agent Crandle. „Ich grüße Euch. Agent Ihan hat mir von Euch berichtet und die Vermutung geäußert, dass Ihr hier vorbei kommt, und darum gebeten, dass ich Euch helfe. Also, was benötigt Ihr?“ – „Informationen zu der Umgebung und wie wir weiterkommen Richtung Malchors Sprung“, meint Silas. „Kein Problem, Recke Zypp startet bald mit einem Trupp, um Nachschub zu Belagerungsmeister Denbi zu bringen. Von dort aus startet dann der nächste Trupp in Richtung Lasciate-Tor. Ihr müsst euch nur an die Nachschubtruppe dranhängen, dann kommt Ihr relativ sicher nach Malchors Sprung und wenn Ihr die Trupps bei Angriffen ein bisschen mitverteidigt, ist bestimmt keiner Böse.“ Die drei bedanken sich und wollen gerade gehen, als Crandle ruft: „Grimma, auf ein Wort, bitte.“ Grimma geht wieder zu Crandle zurück, während Isengora und Silas etwas abseits stehenbleiben. Dabei beobachten die beiden, wie Grimma interessiert und mit wackelnden Ohren Crandle zuhört. Nach fünf Minuten ist das Gespräch beendet und Grimma kommt zurück.„Was wollte er denn so Geheimnisvolles?“, fragt Silas. „Wir haben zwei Stunden Zeit, bis die Karawane loszieht. Wir müssen uns beeilen, bitte kommt mit, ich möchte mir etwas mit Euch zusammen ansehen.“ Schon stürmt Grimma auf vier Pfoten los und während Isengora einfach nur größere Schritte macht, muss Silas ganz schön rennen, um Schritt zu halten mit den beiden. Sie verlassen das Fort in Richtung Osten, als Grimma plötzlich in eine Höhle abbiegt. Die Decke ist so niedrig, dass Isengora zeitweise den Kopf einziehen muss. „Was willst Du hier?“, fragt Isengora dann auch etwas missmutig. Doch ohne Antwort zu geben, läuft Grimma immer weiter und dann sehen sie es. Ein Paradies, mitten in einer riesigen Höhle. Wasser, Bäume, die kreuz und quer wachsen, und dazu fünf, nein sechs, nein sogar sieben junge Tiergefährten. „Hier werde ich mir meine ersten Zähmlinge holen als Waldläuferin“, meint Grimma. Als erstes geht sie auf den Jungen Geißelschwanz-Verschlinger zu. Er läuft nicht weg oder greift an, er bleibt ganz ruhig da stehen und schaut, was Grimma macht. Die Charr setzt sich vor ihm hin und schaut ihn lange in seine Augen. Dann klackert er mit den Scheren und Grimma legt eine Pfote auf seinen Kopf. „Du bist mein erster Tiergefährte und sollst den Namen ‚Klicker‘ erhalten.“ Fasziniert schauen Silas und Isengora zu. Dann geht Grimma weiter zur Jungen Dschungelspinne. Auch hier setzt sie sich wieder vor der Spinne hin und schaut ihr in die Facettenaugen. Die Spinne hebt eines ihrer acht Beine und legt dieses auf die Schulter von Grimma. „Du bist mein Tiergefährte und bekommst den Namen ‚Agamendon‘“. Anschließend wiederholt sich der Vorgang noch fünfmal und das Besondere ist, jedes Mal verschwindet der vorhergehende Tiergefährte. Als Grimma fertig ist, fragt Silas: „Wo sind jetzt Deine Tiergefährten?“ – „Sie sind da, wo sie immer waren, aber nun durch ein besonderes Band mit mir verbunden. Wenn ich sie rufe, sind sie bei mir. Ich weiß nicht, wie es funktioniert, aber ich spüre ganz deutlich jeden meiner Tiergefährten und kann sie rufen, wenn ich sie brauche. Jetzt müssen wir aber zurück. Die Karawane zieht bald los.“

Auf dem Weg zurück kommt ihnen der Trupp bereits auf der Hälfte der Strecke entgegen. sie reihen sich ein und gegen Mittag kommen sie bei den Schwallspitzen an. Dort bleibt ihnen wenig Zeit zum Ausruhen. Agentin Schnitzer hat ihren Trupp zur Eroberung von Izz-al-Din Sarayi bereits fertig und so schließen die drei sich ihr an. Der Kampf um das Gebiet ist schneller erledigt als gedacht. Durch die Unterstützung der Truppe haben die Untoten wenig Chancen. So startet dann auch wenig später Reckin Focale weiter zum Lasciate-Tor, welches den Durchmarsch behindert. Dolyaks mit viel Sprengstoff beladen machen sich auf den Weg, um das Tor aufzusprengen, so dass es anschließend weitergehen kann. Gegen Abend treffen unsere Helden dann am Sammelpunkt des Paktes ein. Müde, aber trotzdem interessiert an allen neuen Sachen, teilen sie sich schnell auf. Isengora geht zu den Sanitätern, um die neusten Heilungszauber und Kochrezepte zu diskutieren, während Grimma einen Übungskampf mit der Wachsamen-Taktikerin bestreitet. Silas wiederum besucht den Arkanisten Repth, um mit ihm die neusten Entwicklungen seiner Klasse zu besprechen und eine verlorene orrianische Juwelenkiste zu kaufen. Vielleicht ist ja für jemand ganz Besonderen etwas ganz Besonderes drin. Silas versteckt die Juwelenkiste in seiner Tasche und will sie erst öffnen, wenn Kaia wieder ganz gesund ist. Das Donnern von Kanonen neben dem Sammelpunkt macht es schwer, Schlaf zu finden, aber kurz nach Mitternacht werden die Augen der drei dann so schwer, dass sie trotz des Lärms einschlafen können.

Am frühen Morgen weckt die Musik von Kriegshörnern Silas, Grimma und Isengora. Explorator Vorb sammelt Truppen zur Eroberung vom Altar des Verrats. „Sie wollen den Tempel von Balthasar einnehmen“, berichtet Grimma. „Gestern Abend bei meinem Übungskampf mit der Wachsamen-Taktikerin hat sie mir davon erzählt. Ich würde gerne mitmachen, aber die Zeit läuft gegen uns. Deshalb werden wir alleine weiterziehen müssen, oder wie seht Ihr das?“ – „Kennst Du denn den Weg?“, fragt Silas. Grimma nickt. „Die Taktikerin hat ihn mir bestens beschrieben. Wenn wir uns beeilen, sollten wir in vier Stunden an der Grenze sein.“ – „An der Grenze zu einem Gebiet mit noch mehr lebenden Toten?“, fragt Isengora. „Oh ja“, kommt es da von Grimma. „Ab jetzt wird es nur noch schlimmer.“

13. Tod den Leichen und legen untote Hühner untote Eier?

Der Weg der drei führt durch eine tote, staubige Welt. So weit sie können, umgehen sie die wandelnden Toten. „Stellt euch vor, es gab hier früher Dörfer und lebende Menschen. Und jetzt …“, kommt es von Isengora. „Ihr habt doch selber im Unterricht von den Priestern gehört, was damals passiert ist“, meint Grimma. „Wesir Khilbron war einer der mächtigsten Zauberer ganzTyrias, als er noch in den Diensten des Königs vonOrr als persönlicher Berater vor derCharr-Invasion stand. Als meine Urahnen drohten, Orr zu vernichten, entschied sich Wesir Khilbron dazu, eine der verbotenen Schriftrollen aus der dunklen Bibliothek zu benutzen. Die dadurch hervorgerufene Explosion vernichtete jedoch nicht nur die Charr, sondern führte zum Untergang der Nation Orr. Der Wesir selbst wurde durch die starke schwarze Magie, die ihn deshalb durchströmte, zumuntoten Lich. Viele Jahre später wachte der Alt-Drache Zaithan auf und hob Orr und die Fluchküste wieder aus dem Meer hervor. Da er Soldaten für seinen Plan brauchte, störte er die Ruhe der Toten und holte sie aus ihren Gräbern, auf dass sie ihm dienen.“

„Halt! Wer seid Ihr?“ Erschrocken zucken die drei zusammen. Sie waren so in ihre Geschichte vertieft, dass sie gar nicht mitbekommen haben, dass ein Trupp der Wachsamen plötzlich vor ihnen steht. „Ein Charr-Pakt-Proller 8000!“, kommt da von Grimma. „Du kennst dich damit aus?“, kommt da die Frage von der Mechanikerin Schrottfinder. Mein Vater war bei der Eisen-Legion. Er hat mich mitgenommen und mir viele Sachen gezeigt. Geile Kiste, wie viele Zentimeter hat das Geschützrohr?“ – „35,5 cm“, kommt da stolz von Schrottfinder zurück. „Wir müssen nehmen, was die Toten uns übrig lassen, aber mein Baby ist schon etwas Besonderes.“ – „Ich stör ja ungern“, und da wird der Charr, der die ganze Zeit daneben gestanden hat, plötzlich lauter, „noch bin ich der Anführer hier, also wer seid Ihr?“ Isengora, Silas und Grimma stellen sich vor. „Okay, verstehe“, kommt von dem Charr, der sich als Agent Calizto vorstellt. „Seid mir nicht böse, aber ich habe wenig Zeit. Begebt euch zu dem Durchgang gleich da vorn. Er wird Euch nach Malchors Sprung bringen. Dahinter findet Ihr die Wegmarke Pagga. Von dort aus starten regelmäßig Versorgungstruppen, die Euch weiterbringen.“ – „Lasst mich raten“, kommt da von Isengora, „und wenn wir diesen bei der Verteidigung unterwegs etwas helfen, ist auch niemand böse.“ Da fängt Agent Calizto an zu lachen. „Ich sehe, Ihr habt verstanden. Also, ab mit Euch.“ Die drei bedanken sich und ziehen weiter durch ein zerschossenes Stahltor, das sie zu Malchors Sprung bringt. Eine Stunde später erreichen sie die Wegmarke und nutzen gleich die Chance, ihre Taschen zu leeren. Während Isengora mittlerweile bei knapp 10 Gold ist, ist es bei Silas mit 8 Gold noch am wenigsten von den dreien. Trotzdem rüsten sie alle neues Wiederverwertungswerkzeug aus und kaufen Orichalcum-Spitzhaken, -Äxte und -Sicheln, weil sie hoffen, unterwegs noch reiche Beute in Form von Material zu machen.

Als der Trupp von der Wegmarke aus losläuft, hilft Isengora heimlich mit Geschwindigkeitsfeldern bei den Lastentieren nach, um schneller vorwärts zu kommen, aber die ständigen Angriffe lassen ihre Versuche meist ins Leere laufen. So ist bereits später Nachmittag, als sie endlich am Garten von Ilya ankommen. Es war ein langer, aber erfolgreicher Weg, wie sie bald feststellen. Neben Orichalcum-Erz, antiken Hölzern und orrianischen Trüffeln haben sie bei ihren Kämpfen auch den ein oder anderen exotischen Gegenstand erbeuten können, für den ihnen hier einige Gold angeboten werden vom Schwarzlöwen-Händler.

Da kommt Lichtbringer Zykk auf die drei zu. „Kann ich Euch kurz sprechen?“ Grimma, Isengora und Silas verständigen sich kurz per Blickkontakt und nicken kurz. „Bitte folgt mir“, sagt Zykk, „es muss nicht jeder mitbekommen, worum es geht. Es ist mir fast ein wenig peinlich, aber wir sind hier so weit vorne an der Front, wir haben im Augenblick einfach nicht genug Agenten. Jetzt habe ich die Nachricht erhalten, dass ein Ornithologe der Inquestur sich hier herumtreibt.“ – „Was ist ein Ornithologe?“, fragt Grimma. „Das ist ein Vogelkundler. Er untersucht und beobachtet Vögel aller Art.“ – „Und was will er dann hier in Orr? Hier gibt es doch nur wandelnde Tote“, meint Isengora. „Weiter im Südwesten bei Saliah Bayt laufen untote Hühner herum“, erklärt Lichtbinger Zykk. „Diesen Witz kannst Du einem Sohn Svanirs erzählen“, meint Isengora. Doch Lichtbringer Zykk schüttelt den Kopf. „Zaithan hat selbst die Hühner auferstehen lassen?“, fragt Silas mit Unglauben in der Stimme. „Und die Hühner legen jetzt untote Eier, oder was?“, fragt Grimma belustigt. „Wenn man die Hühner tötet, explodieren sie und reißen einen mit in den Tod“, erklärt der Lichtbringer. „Wir glauben, dass der Ornithologe der Inquestur die Hühner fangen und einsetzten will.“ Bei diesem Bild werden Grimma und Isengora ernst. „Also gut, gehen wir mal davon aus, die untoten Hühner laufen da wirklich herum. Was erwartest Du von uns?“ – „Bitte tötet die Hühner, macht die Hühnerställe kaputt, zerstört alle untoten Eier und wenn der Ornithologe versehentlich den Abhang runter fällt, nun, dann ist es auch nicht schlimm.“ – „Also gut, bis auf den Punkt mit dem Ornithologen, den holen wir uns in einem offenen und fairen Kampf“, meint Grimma und Isengora nickt heftig dazu. „Euer Schaden soll es nicht sein. Der Pakt wird Euch in Orr helfen, Eure Mission, was immer sie auch sein wird, abzuschließen.“ – „Dann machen wir uns jetzt auf den Weg. Wir wollen bis heute Abend an der Fluchküste sein.“ Während unsere Helden weiterziehen, ist das Gelächter groß. Untote Hühner, ganz toll, und dann noch untote Eier, wie witzig. „Der hat sich einen riesen Witz erlaubt“, meint Grimma, „Ihr werdet sehen.“ Da kommt ihnen plötzlich das erste Huhn entgegen. „Kneift mich mal“, meint Isengora. Grimma bleibt der Mund offen stehen und nur Silas meint ganz trocken: „Ich hoffe, Ihr habt untotes Vogelfutter dabei.“ Dann reißt er seinen Stab hoch und legt eine Lavafontäne unter das Huhn. Noch zwanzig Meter und das Huhn läuft auf sie zu. Silas legt einen Feuerball nach und das Huhn brennt und rennt trotzdem noch auf die Gruppe zu. Noch zehn Meter. „Bin ich der einzige, der hier angreift?“, fragt Silas langsam etwas unruhig, da wechselt er auf Luft und legt einen Blitzschlag hinterher. Noch fünf Meter und da fällt das Hühnchen endlich um und explodiert. Die Reste vom Huhn fliegen zur Hälfte Grimma und zur Hälfte Isengora direkt in den Mund, die immer noch wie Salzsäulen da stehen und nicht glauben können, was sie gesehen haben. Silas schmeißt sich vor Lachen auf den Boden. „Ihr seht so bescheuert aus!“ Der Blondschopf hält sich den Bauch, als beide noch damit beschäftigt sind, die Reste vom explodierten Hühnchen auszuspucken.

„Was war das?“, fragt Grimma. „Das war ein auferstandenes Huhn. Ich kann es immer noch nicht glauben, auch wenn ich es grade gesehen habe“, meint Isengora. So langsam beruhigt sich Silas wieder und steht vom Boden auf. „Grimma, die große Kriegerin, und Isengora mit der großen Legende, die Skalden werden von ihrem Sieg gegen die untoten Hühner singen.“ Da schauen sich Isengora und Grimma gegenseitig an und ihr Blick ist wütend. „Singen werden sie, und zwar wie wir die Hühner und den Inquestur-Onkel so richtig verprügelt haben. Ich will jetzt untote Hühner schlachten!“ – „Ich auch“, kommt es fauchend von Grimma. „Auf die Hühner!“ Beide sprinten los und attackieren ein Hühnchen nach dem anderen. Alles läuft zu Anfang problemlos und vor lauter Übermut fangen sie an, ihre Kämpfe kunstvoll in Szene zu setzen, als plötzlich vier mega große Veteranen Hühnchen erscheinen. „Was zum Teufel ist das jetzt schon wieder?“, fragt Grimma. Da schreit Silas: „Achtung! Die Viecher schießen mit Eiern auf uns!“ Im letzten Augenblick kann Isengora die fliegenden Eier blocken. „Das werde ich meinen Enkeln erzählen“, meint Isengora. „Riesige Hühner, die mit Eiern schmeißen.“ Ab sofort ist wieder höchste Konzentration gefordert. Die Angriffe müssen koordiniert auf ein Huhn kommen, um es zu töten. „Wenn ich mir vorstelle, wie saftig die früher gewesen sein müssen“, meint Grimma. Gefühlte Stunden später, nach einem harten, zehrenden Kampf, ist das letzte Hühnchen tot und unsere drei setzen sich grade mal zum Ausruhen auf den Sandboden, als Geschrei ertönt. „Was habt Ihr mit meinen Hühnchen gemacht?“ Ein kleiner Asura mit wütendem Gesichtsausdruck kommt auf die drei zu. „Wer bist Du denn, kleiner Mann?“, fragt Isengora. „Ich bin Ornithologe bei der Inquestur“, kommt da als Antwort. „Ihr habt meine Experimente zerstört, dafür werdet Ihr büßen.“ Silas beginnt, einen Flammenstrahl auf Isengora zu richten. „Vorsicht“, schreit Grimma, „Silas steht unter Konfusion!“ Isengora beeilt sich, den Zustand ganz schnell bei Silas runterzunehmen und im letzten Augenblick kann Silas den Angriff noch knapp an Isengora vorbeilenken. „Ich beschütze Euch“, ruft Isengora, „macht die kleine Teppichfluse fertig!“ – „Wie habt Ihr mich genannt?!“, kommt da von dem Asura. Noch einmal verstärkt er den Angriff und Isengora hat alle Hände voll zu tun, um die Angriffe abzuwehren. Da wechselt Grimma auf ihren Langbogen und dann geht es Schlag auf Schlag. Ironie der Geschichte: Der Asura endet von Pfeilen festgehalten an einem Hühnerstall. Die drei schauen sich das Schauspiel an und es dauert eine Zeitlang, bis Grimma als erstes etwas sagt. „Wenn die nächsten 24 Stunden jemand etwas von Eiern, Hühnchen oder Ornithologe erzählt, dem ziehe ich das Fell über die Ohren, egal ob Charr oder nicht.“ Silas und Isengora nicken nur verständnisvoll. Kurz bevor die Sonne untergeht, gehen die drei weiter und kommen mit den letzten Lichtstrahlen am Durchgang zur Fluchküste an. Viel Licht haben sie nicht mehr, als die drei den Durchgang passiert haben. „Was machen wir?“, fragt Silas. „Übernachten wir hier oder gehen wir weiter zum Kastell?“ Grimma steckt die Nase in die Luft und schüttelt den Kopf. Auch bei Isengora stellen sich die Nackenhärchen auf. „Wir können nicht bleiben. Untote, sie nähern sich. Ich bin nicht sicher, ob sie uns schon bemerkt haben.“ – „Alle ab an die linke Seite an die Wand, wir schleichen uns langsam den Weg entlang“, kommt das Kommando von Grimma. Immer an der Wand lang tastend, schleichen die drei vorwärts. Ab und zu ist das Schlurfen und Stöhnen eines Untoten zu vernehmen. Mit einer Handbewegung macht Silas die anderen darauf aufmerksam, dass sie fast schon beim Kastell sind. Da erschallt ein Ruf: „Kommt alle!“, und eine Horde Untoter setzt sich in ihre Richtung hin auf den Weg. In einiger Entfernung aus Richtung des Kastells kommt ihnen ein Wachsamen-Recke entgegengelaufen. „Los, beeilt euch, hier drin seid Ihr sicher.“ Mit pfeifenden Lungen kommt Silas schließlich als letztes rein. Draußen hören sie noch die Kampfschreie der Recken, bis es schließlich still wird und alle ins Kastell zurückkehren. Reichlich müde bitten unsere drei um eine Übernachtungsmöglichkeit und so liegen sie kaum eine halbe Stunde später in einem kalten, zugigen Zelt auf einer Matte und versuchen zu schlafen. Als Silas allerdings anfängt mit den Zähnen zu klappern, entschließen sich alle drei, die Matten zusammenzulegen und sich gegenseitig zu wärmen. Mit dem weichen Bauchfell und dem Schnurren von Grimma kann dann auch Silas bald einschlafen.

14. Die Artesischen Gewässer

Am nächsten Morgen werden die drei vom Donnern der Kanonen geweckt. „Plinx kommt mit Nachschub“, heißt es von den anderen. „Da werden die Auferstanden immer ganz nervös.“ Silas, Grimma und Isengora ziehen ihre Rüstungen an, aber bis sie fertig sind, ist schon alles erledigt. Die Recken öffnen die Kisten und bauen als erstes ein Frühstück auf. Silas und Isengora beteiligen sich an dem Aufbau, während Grimma Explorator Steinschlag zu einem Wettkampf herausfordert. Als alles auf dem großen Frühstückstisch steht, greifen unsere Helden nochmal kräftig zu, denn Ziel ist es, heute die Artesischen Gewässer zu erreichen und das Ei der Melandru zu bergen. Anschließend soll es per Teleport sofort zurück nach Löwenstein gehen. Nach einer kurzen Verabschiedung laufen unsere Helden nach Westen in Richtung Wintertotengeläut-Küste. Die Recken hatten eindeutig vom direkten Weg über die Wintertotengeläut-Insel abgeraten, weil die Untoten dort in letzter Zeit verstärkt aufgetaucht waren. So laufen sie den Strand entlang, einander immer sichernd, um nicht vom nächsten Angriff überrascht zu werden. „Zum Glück tauchen entlang unseres Weges nur vereinzelt Untote auf“, meint Silas. „Ja, aber die auferstanden Fäule Mäuler stinken so abartig“, meint Grimma. „Merkst Du gar nichts davon, Isengora?“ Isengora schaut Grimma an, grinst und meint: „Ich habe mir heute beim Händler noch extra Geruchsfilter für die Nase gekauft.“ Grimma schaut sie nur entgeistert an, schüttelt den Kopf und geht weiter. „Da vorne ist Gavbeorns Anlegestelle!“, ruft Isengora. „Beeilt euch, ich will heute noch zurück nach Löwenstein.“ Oh ja, endlich den Geruch der Untoten aus der Nase haben. Dass dieser Geruch für sie noch angenehm werden sollte, kann Grimma zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.

Als sie die Anlegestelle verlassen und weiter ostwärts am Strand entlanglaufen, erspähen die Abenteurer weit oben im Himmel Silhouetten von Pakt-Luftschiffen, die mit einigen Drachen im Kampf liegen. „Freiheit, Ehre, Zuverlässigkeit werden da oben verteidigt“, kommt es von Grimma. „Ja, da werden Legenden geschrieben. Wäret Ihr jetzt gerne dort oben?“, fragt Silas. „In ein paar Jahren, wenn unsere Ausbildung abgeschlossen ist, würde ich gerne mit Euch zusammen die restlichen Drachen bekämpfen. Jetzt wären wir doch nur Kanonenfutter“, meint Grimma. Isengora nickt, als Silas plötzlich ruft: „Da! Das muss der Tempel der Melandru sein!“ In einiger Entfernung bauen sich vor ihnen die Stufen zu einem gewaltigen Tempel auf. „Wisst Ihr, wo der Eingang zu den Artesischen Gewässern ist?“, fragt Grimma. Von Silas und Isengora kommt nur ein Kopfschütteln. Langsam kommen sie die Stufen hoch, bis sie am oberen Absatz eine Abordnung des Paktes treffen. Isengora geht auf eine Norn zu, die hier scheinbar die Führung übernommen hat. „Ich bin Lichtbringerin Sicherschritt. Was führt Euch zum Tempel der Melandru?“ Isengora erzählt die ganze Geschichte: Vom Waisenhaus über die sechs Eier sowie über die weiteren Abenteuer, die sie schon erlebt hatten seit sie unterwegs waren. „Dann sind also die Berichte wahr. Ihan hat nicht gelogen“, meint die Lichtbringerin. „Du weißt, wir Norn beten zu den Geistern der Wildnis. Daher sind mir andere Götter ziemlich egal, aber wenn Ihr die Unterstützung von Ihan habt, will ich Euch den Eingang zeigen. Folgt mir.“ Die Lichtbringerin läuft voran, fünfzehn Stufen herunter auf die untere Ebene des Tempels. Zehn Schritte nach links und sie gelangen an einen Durchgang. „Hier, wo das Wasser fließt, ist auch der Zugang zu den Artesischen Gewässern. Ihr müsst ins Wasser, tauchen und dann wieder hochschwimmen. Dort werdet Ihr einen Durchgang finden. Doch seid gewarnt, der Durchgang ist schwer bewacht. Wenn Eure Geschichte stimmt, solltet Ihr am Ende des Gangs dann finden, wonach Ihr sucht.“

Die drei bedanken sich und die Lichtbringerin geht wieder zurück an ihren Platz nach oben. „Schwimmen, tauchen“, faucht Grimma, „bin ich ein U-Boot?“ Silas springt als Erster ins Wasser, während Grimma immer noch am lamentieren ist. „Komm schon“, ruft er aus dem Wasser zu ihr hoch, „je schneller Du springst, desto schneller sind wir in Löwenstein!“ Das ist ein Argument, dem sich Grimma nicht verschließen kann. Mit einem deftigen Charrfluch springt sie ins Wasser. Um sich während des Tauchvorganges nicht zu verlieren, hält Isengora Grimma ihren Stab hin, damit sie zusammen bleiben. Wie die Lichtbringerin gesagt hat, dauert es nur wenige Sekunden den Durchgang zu durchtauchen und schon stoßen die drei wieder an die Wasseroberfläche vor.

Das Rauschen von Wasser wird vom lauten Stöhnen der Untoten überlagert. Auferstande Unterwerfer wechseln sich ab mit metallischem Klirren. „Was ist das denn?“, flüstert Isengora vor sich hin. „Ich dachte nur wir Wächter könnten Geisterwaffen beschwören.“ – „Das sind orrianische Spektralwaffen. Ihre Aufgabe war es damals Orr vor seinen Feinden zu schützen. Heute helfen sie Zhaitan und seinem Gefolge“, erklärt Silas. „Na wundervoll“, kommt die Antwort von Grimma. „Sag mal, wie bescheuert waren die Leute früher? Ist der Spektralbogen die Orr-Version eines Waldläufers und ein Orrianisches Spektralschwert das Gegenstück zu einem Krieger?“ Silas kann nur mit den Schultern zucken. „Das Wenige, was ich weiß, habe ich von Hazadim gehört.“ – „Dann müssen wir uns wohl Stück für Stück die Gegner vorknöpfen.“ So schleichen die drei sich an die Gegner heran. Die ersten Feinde fallen erstaunlich schnell. „Das funktioniert super“, meint Grimma und bleckt die Zähne, „dann haben wir es ja gleich geschafft.“ Nach der Biegung kommt aber plötzlich ein Trupp aus zwei Untoten und zwei Spektralwaffen. Isengora muss sich komplett verausgaben und alles auslösen, was sie zu bieten hat, um ihre Freunde zu schützen. Silas und Grimma kämpfen mit vollem Einsatz und, als sie erschöpft den letzten Gegner niederringen können, löst sich ein letzter Pfeil vom orrianischen Bogen und trifft Isengora links oben in die Brust. Ein erschrockener Blick von Silas in ihre Richtung und er sieht den Unglauben in den Augen seiner Freundin. Dann fällt sie, wie in Zeitlupe, nach hinten um. Sofort stürmen Grimma und Silas an ihre Seite und ziehen sie in eine Ecke. Dort betten sie sie behutsam auf den Boden. Die Norn flüstert etwas, was Silas nicht verstehen kann. Also geht er näher an ihr Gesicht heran und hört geflüstert unter dem schweren Atem der Norn: „Jetzt musst Du dich revanchieren. Ich weiß, Du kannst es!“ Silas schaut sie erschrocken an. „Ich weiß nicht, ob ich es kann“, flüstert er zurück. – „Ich vertraue Dir!“ Silas nimmt allen Mut zusammen und beginnt, Isengora die Rüstung abzunehmen, während Grimma wachsam in alle Richtungen blickt. „Los, beeil dich! Ich weiß nicht, wie lange das noch gut geht.“ Silas sieht, dass der Pfeil knapp an der linken Brust vorbei eingeschlagen ist und jetzt bis in ihre Schulter ragt. „Du musst ihn verbrennen“, flüstert Isengora. „Wie?“, fragt Silas ängstlich. „Ich will Dich nicht verletzen.“ – „Um mich zu retten, musst Du mich verletzen.“ Da sackt Silas in sich zusammen: Er weiß, was er tun musste, aber es war so verdammt schwer. Da kommt Grimma und hebt mit ihrer Pfote sein Gesicht an. „Willst Du, dass sie stirbt?“ – „Was für eine blöde Frage, natürlich nicht!“ – „Dann musst Du jetzt etwas tun oder sie wird sterben, weil Du ihr nicht geholfen hast.“ Da nimmt Silas allen Mut zusammen. „Es wird wehtun. Beiß auf das Oberteil Deiner Rüstung.“ Als Isengora so weit ist, nickt sie und schenkt Silas einen dankbaren Blick. Mit der rechten Hand berührt er den Pfeil, um dann reinigende Feuer auszulösen. Die Augen von Isengora werden groß und sie beißt mit aller Macht in die Rüstung, doch nach einer gefühlten Ewigkeit ist der Pfeil vollständig zu Asche verbrannt und die restlichen Flammen verschließen die Wunde. Damit lässt auch der Schmerz nach und eine angenehme Dunkelheit und Taubheit empfängt die Norn. Aus der linken Hand lässt Silas ein Geysir und heilenden Regen entstehen. Dabei beobachtet er, wie sich die Wunde schließt. Nach einigen Minuten öffnet Isengora wieder die Augen und drückt Silas fest an sich. „Über die Narbe dieser Wunde werde ich mir Deinen Namen als Erinnerung tätowieren lassen. Danke für Deinen Mut.“ Auch Grimma klopft Silas auf die Schultern, aber dann mahnt sie auch gleich zur Eile: „Wie sieht es aus, Isengora? Kannst Du weitermachen?“ Vorsichtig hebt die Norn beide Arme und grinst: „Lasst sie uns fertig machen!“ So nehmen die drei nun noch vorsichtiger die nächsten Gegner in Angriff. Stück für Stück kämpfen sie sich vorwärts, bis sie es alle gleichzeitig sehen: Eine gewaltige Truhe mit schweren, kunstvoll verzierten Eisenbeschlägen. Darin muss das Ei liegen! Ein Veteran ist der letzte Gegner, der zwischen ihnen und der Truhe steht. Silas wechselt auf seine Erdeinstimmung und löst eine Eruption aus, wodurch der Veteran verkrüppelt wird. Isengora legt mit ihren Pfeilen nach und schießt den Veteran anschließend gegen die Wand. Die beiden nicken Isengora zu. Diese nimmt ihr Großschwert und rennt brüllend auf den Veteran zu. Die Wirbelattacke tut ihr blutiges Werk und endlich ist das Ziel erreicht – sie treten an die Kiste heran. Grimma geht einen Schritt vor und öffnet sie. Unter dem schweren Deckel der Kiste kommt das Ei der Melandru zum Vorschein. Vorsichtig nimmt die Charr das Ei heraus und, als sie es in der Hand hält, spürt sie die Vibration, die von dem Ei ausgeht. Es erklingt eine hallende Stimme in ihrem Kopf: „Soll ich mich öffnen?“ Grimma überlegt kurz, entscheidet sich aber dagegen. „Da kommen neue Untote!“, ruft Isengora in diesem Moment. „Schnell, wir müssen zurück nach Löwenstein.“ Alle greifen in ihre Taschen, holen die Karte Tyrias heraus und drücken auf die Wegmarke Torknotenpunkt-Platz. Es erscheint, wie üblich, die Frage: „Akzeptieren Sie den Preis von 2 Silber 77 Kupfer pro Person?“ – „Verdammt ja!“, faucht Grimma. Das Letzte, was sie sehen, sind die Untoten, die auf sie zugestürmt kommen, als ihre Rückreise eingeleitet wird.