Die kleinen Wunder des Wintertags

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    Liebe Community,


    nachdem wir im letzten Jahr auf sehr positive Rückmeldung gestoßen sind, haben wir auch in diesem Jahr wieder eine kleine Wintertags-Geschichte aus Tyria für Euch. Allen, die die Geschichte zum Adventskalender 2015 noch nicht kennen, kann sie nur empfohlen werden. Ihr könnt sie hier nachlesen.


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    (Zum Adventskalender hier klicken)


    Damit auch genug der erklärenden Worte: Hier ist unsere Weihnachtsgeschichte 2016 …

  • 1. Dezember


    Schon wieder war diese Zeit des Jahres gekommen. Immer früher verschwand die Sonne hinter den Gipfeln im Westen, die Tage wurden kürzer und die Temperaturen in ganz Tyria sanken von Tag zu Tag. Auch Arekk, der kleine Asura, bereitete sich wieder auf seine liebste Jahreszeit vor. Dabei kam es ihm vor, als wäre es erst letzte Woche gewesen, als die Völker Tyrias in Friede und Gemeinschaft den Zauber des Wintertags erlebt hatten. Je eher also die Dunkelheit hereinbrach, desto aufgeregter war auch Arekk. Schließlich trug er in diesem Jahr erstmals die Verantwortung für die Aufgabe, Asura, Charr, Menschen, Norn, Sylvari und allen anderen Bewohnern Tyrias eine kleine Freude in der Zeit des Wintertags zu bereiten.

  • 2. Dezember


    Seit Monaten bereitete er schon mit einigen anderen Asura den Wintertag vor. Zahlreiche Golems fertigten die Geschenke, verpackten sie in farbigem Papier und bereiteten Dekorationen vor. Die Planung war im vollen Gange, doch obgleich Arekk früh mit den Vorbereitungen angefangen hatte, waren noch lange nicht genug Präsente fertig, um allen eine Freude machen zu können. Und die Zeit lief ihm davon! Nur noch wenige Tage, bis er zu seiner Wintertags-Reise aufbrechen musste. Er musste auf jeden Fall pünktlich zur großen Feier in Löwenstein ankommen. Zuvor galt es aber noch, die übrigen Gebiete des Kontinents zu bereisen.
    Am Abend vor seinem Aufbruch saß Arekk, wie so oft in den letzten Tagen, vor seinem kleinen Kaminfeuer. Erschöpft von der harten Arbeit ließ er sich und seine Gedanken ein wenig treiben: 24 Tage hatte er Zeit, um allen eine Freude zu breiten. Es waren noch lange nicht genug Geschenke für alle da und so würde er es niemals schaffen, seine Aufgabe als Wintertagswichtel zu erfüllen … Vielleicht war es besser, er ließe die Reise in diesem Jahr ausfallen. Er konnte doch nicht jeden glücklich machen. Und es gab so viel Unglück und Hass in dieser Welt – was sollte ein kleiner Wichtel wie er schon ausrichten können?

  • 3. Dezember


    Die Flammen des wärmenden Feuers im Kamin verschwammen vor seinen Augen und eine dicke Träne rann seine Wange hinunter. Dann eine weitere, und schließlich schluchzte Arekk laut. Er ließ den Tränen ihren Lauf und bald benetzten sie sein ganzes Gesicht. Er hatte versagt. Am liebsten wäre er jetzt in den riesigen Geschenkesack gekrochen und niemals wieder herausgekommen. Arekk hatte es besser machen wollen als je zuvor, doch er hatte die Bewohner Tyrias enttäuscht und Nuaana ganz besonders! Mit diesen finsteren Gedanken im Kopf kauerte er sich in seinem großen Sessel vor dem Kamin zusammen und schlief ein.

  • 4. Dezember


    Die Sonne war schon lange aufgegangen und hüllte den Raum in ein warmes Licht. Ein wenig Staub tanzte in den Lichtstrahlen, die durch den Spalt zwischen den Vorhängen fielen. Arekk lag noch immer in seinem Sessel und schlief, als ihn ein lautes Klopfen aus seinen Träumen riss. „Pock, pock, pock!“ – Arekk blinzelte noch immer schlaftrunken gegen das Licht und erhob sich, noch ein wenig unsicher auf den Beinen, aus dem Sessel. Er hatte gerade die Klinke hinuntergedrückt, als der ungeduldige Besucher abermals gegen das Türblatt schlug. Das allerdings hatte zur Folge, dass die Tür mit viel Schwung nach innen schlug und somit Arekk entgegen, der sich mit der anderen Hand noch die Augen rieb. Ihm blieb keine Möglichkeit zu reagieren: Mit einem lauten „Rumms“ schlug die Türe gegen Arekks Stirn.

  • 5. Dezember


    Sofort pulsierte ein stechender Schmerz durch seinen Kopf und er wich einige Schritte vom Eingang zurück. Er stöhnte. „Ohh nein! Arekk, das wollte ich nicht. Das tut mir unglaublich leid!“ Arekk kannte diese Stimme, und als seine Augen sich endlich an die hellen Sonnenstrahlen gewöhnt hatten, sah er Nuaana vor sich. Die Asura mit weißer Haut, weißen Haaren und den großen braunen Flecken um die strahlend blauen Augen grinste Arekk frech an. „Exzelsior! Jetzt komm schon, Du Schlafmütze. Es ist an der Zeit, dass Du aufbrichst. Alle warten schon gespannt! Wir haben so lange …“ Ihr Redeschwall brach jäh ab, als sie in Arekks Gesicht blickte.

  • 6. Dezember


    „Ist alles in Ordnung bei Dir?“ Arekks Augen waren angeschwollen und gerötet, seine Ohren hingen schlaff herab und sein Blick war auf den Boden gerichtet. Mit hängenden Schultern dastehend überragte Nuaana ihn deutlich, obwohl sie eigentlich fast gleich groß waren. „Habe ich Dich gerade so schwer verletzt?“ Doch Arekk schüttelte nur schweigend den Kopf. „Nun sag doch bitte irgendetwas, damit ich Dir helfen kann!“ Vorsichtig umarmte sie ihn. „Machst Du dir wieder Gedanken um die Reise? Lass uns doch einfach noch einmal darüber reden.“ Und so zog sie die Tür hinter sich zu und führte Arekk an den Kamin, in dem nur noch ein paar letzte Kohlen glühten. Draußen hatte es angefangen zu schneien, Hunderte und Tausende von Schneekristallen fielen friedlich vom Himmel.
    Der Schneefall hatte inzwischen die gesamte Landschaft in ein glitzerndes Weiß gehüllt. Die Sonnenstrahlen reflektierten im Schnee. Nur eine Spur, von zwei kleinen Fußpaaren, unterbrach die sonst unberührte Schneedecke. Arekk lächelte wieder ein bisschen, als er an der Seite von Nuaana das Hauptquartier betrat. Er war bereit für diesen Wintertag und er hatte ein Ziel: Es sollte der Beste seit langer Zeit werden! Nachdem er also einige Dinge eingepackt hatte, griff er sich den großen Geschenkesack, schulterte ihn und machte sich auf den Weg. Doch er war nicht allein …

  • 7. Dezember


    In Begleitung von Nuaana schlugen sie gemeinsam den Weg durch den Caledon Wald in Richtung Hain ein. Auf der Straße trafen sie zahlreiche Einheimische, die ihre Waren zum Verkauf in die Hauptstadt transportierten. Motiviert und voll guter Laune kamen die beiden schnell voran. So kam es, dass die Sonne schon zum Teil hinter den Berggipfeln bei Cathal verschwand, als sie eine einzelne Gestalt, nicht allzu weit vor ihnen, erblickten. Die Person ging weit vornübergebeugt und kam nur langsam voran, sodass die beiden Asura bald zu ihr aufgeschlossen hatten. „Exzelsior, meine Dame“, grüßte Arekk die fremde Sylvari freundlich. Sie hielt an und blickte sich um, die Quelle der Stimme suchend.

  • 8. Dezember


    Es heißt immer, man könne den Sylvari ihr Alter nicht ansehen. Doch den beiden Asura war sofort klar, dass es dieser Sylvari nicht gut ging. Ihre Haut war blass gräulich und fast schien es, als durchzögen tiefe Falten ihr Gesicht. Beim Anblick der zwei kleinen Gestalten lächelte sie, doch selbst das schien sie einige Kraft zu kosten. „Können wir Euch mit Eurer schweren Last helfen?“, fragte Arekk daher. „Das würdet Ihr für mich tun?“ Die Verwunderung in der Stimme überraschte Arekk. „Natürlich! Es wäre uns eine Freude, wenn wir Euch helfen könnten“, bekräftigte nun auch Nuaana. „Schließlich ist die geteilte Last viel einfacher zu stemmen.“

  • 9. Dezember


    Die Asura übernahmen jeweils einen Teil der Waren und gemeinsam setzten sie ihren Weg fort. Die Sylvari konnte nun, da sie ihr die schwere Last abgenommen hatten, auch deutlich schneller gehen. So erfuhren die beiden Wintertagswichtel auf dem Weg, dass die Sylvari alleine ein kleines Gehöft an der Grenze zur Brisban-Wildnis bewohnte. In der weiten Umgebung gab es kaum andere Bewohner und so machte sie sich ein paar Mal im Jahr auf, um die Dinge, die sie nicht alleine herstellen konnte, im Hain einzuhandeln. „Was haltet Ihr davon, wenn Ihr zum Wintertags-Fest nach Löwenstein kommt und euch dort mit uns trefft?“ Die Augen der Sylvari funkelten und sie bedankte sich überschwänglich für die Einladung. Zum Abschied zog Arekk noch ein rot-grün verpacktes Geschenk aus dem Geschenkebeutel. Die Sylvari öffnete es und zum Vorschein kam ein Mini-Lama. Eine Gänsehaut fuhr Arekk über den Rücken, als er sah, wie sich im Augenwinkel der Sylvari eine kleine Freudenträne bildete und langsam die Wange hinunterkullerte. Sie nahm das Mini-Lama auf den Arm und drückte es. Auch dem Tier schien seine neue Besitzerin zu gefallen, denn es schmiegte sich in ihren Arm.

  • 10. Dezember


    Nach diesem ersten, wundervollen Wintertags-Moment verteilte Arekk mit Unterstützung von Nuaana zahlreiche kleine Geschenke an die Bewohner des Hains und der Umgebung. Nach einigen Tagen brachen die beiden Asura wieder auf. Ihr nächstes Ziel war Rata Sum. Dort angekommen bewunderten sie als allererstes das zauberhafte Schneetreiben: Zahlreiche kleine Schneekanonen und Wintertags-Golems verliehen der Hauptstadt eine ganz besondere Stimmung. Nur das ständige Geläut der Ho-Ho-Tron-Nachbauten störte die Idylle. Die beiden schlenderten über die vier Ebenen und verteilten Geschenke an die Einheimischen und Reisenden. Auf der untersten Ebene fand im Recherchezimmer einer der jährlichen Forschungswettbewerbe statt. So wurden Arekk und Nuaana Zeuge einer lautstark ausgetragenen Diskussion zwischen zwei angehenden Asura-Forschern.

  • 11. Dezember


    „Ihr aufgeblasener Tollpatsch eines Synergetikers! Eurem Entwurf kann man ja schon auf dem Papier ansehen, dass diese Konstruktion nicht funktionsfähig sein wird!“ – „Ihr solltet euch nicht so viel auf Eure lächerlichen, kleinen Witzfiguren einbilden! Der einzig sinnvolle Zweck dieses Dynamik-Schrotts ist die Beschäftigung der angehenden Kru-Mitglieder, die diesen reparieren dürfen …“ Arekk und Nuaana traten an die beiden Streitenden heran. „Exzelsior Ihr beiden! Ist es wirklich erforderlich, dass gestandene Forscher, wie Ihr es seid, Ihre Zeit an solch lächerlichen Streitigkeiten verschwenden?“ Nuaana griff sich die Skizzen, die auf dem Tisch lagen. Sie musterte die Zeichnung eine Weile, bevor sie sagte: „Schaut doch einmal hier“, sie deutete zunächst auf den Golem vor ihnen und dann auf den Entwurf des anderen Forschers. „Wenn Ihr einmal diese Schnittstelle betrachtet … Es schreit ja förmlich danach, die synergetische Ladung zu nutzen, um die Konstruktion über den kristallinen Kompensator zu überladen und anschließend mittels …“ Arekk wandte sich ab, während die Streithähne seiner Begleiterin an den Lippen hingen. Als die Forscher dann in die theoretische Diskussion über Flux-Kompensatoren und irgendwelche anderen schrecklichen Gerätschaften mit einstiegen, grinste er zufrieden und wandte seine Aufmerksamkeit einfach dem bunten Treiben zu und ließ sich mit der Menge treiben. Er hatte sich noch nie sonderlich für Technik interessiert.

  • 12. Dezember


    Nach einer gefühlten Ewigkeit stieß Nuaana endlich wieder zu Arekk und er war froh, dass sie weitergehen konnten. Die Luft hatte sich inzwischen deutlich abgekühlt und Arekk fröstelte es ein wenig, dafür war die Wärme in ihrer Unterkunft aber umso schöner. Auch dafür liebte Arekk die Winterzeit, wenngleich er zugeben musste, dass es manchmal schon ziemlich unangenehm werden konnte, wenn der nasse Schnee zunächst die Kleidung und dann nach und nach den ganzen Körper durchnässte. Aber sie mussten weiterreisen, wenn sie noch die drei anderen Hauptstädte besuchen und dann auch noch pünktlich zum Fest in Löwenstein sein wollten. Götterfels war die nächste Station und auf dem Weg dorthin trafen sie viele Bewohner Krytas, die sie mit kleinen Geschenken beglücken konnten.
    Das Königintal lag friedlich und schneebedeckt vor den beiden Asura-Wichteln. Die geschlängelten Spuren ihrer Fußstapfen waren das Einzige, was die gleichmäßige Schneedecke unterbrach. Die klare Luft war wundervoll und Arekk war bester Laune. Seit seinem letzten Besuch in Götterfels anlässlich des letzten Wintertags hatte er immer wieder vom winterlich dekorierten Kronpavillon geträumt. Erinnerungen an vergangene Zeiten kamen auf: Löwenstein in den alten Tagen, als die Piazza noch von einer riesigen Schneekugel dominiert wurde. Später dann die Dolyaks auf ihrem Weg durch die Ruinen der zum Großteil zerstörten Stadt …

  • 13. Dezember


    Sie passierten gerade das Portal von Götterfels, als Arekk wieder aus seinen Träumereien erwachte. Viele Kinder schlossen sich ihnen auf dem Weg entlang der Promenaden und der Ringstraße bis zum Kronpavillon an. Immer wieder hielten die beiden Asura an, um Geschenke an die freudig lachenden und aufgeregt durcheinanderredenden Jungen und Mädchen zu verteilen. Ganz besonders fiel Arekk aber ein Junge ins Auge, der mit einem breiten Grinsen das Papier von einem blauen Päckchen mit einer großen, gepunkteten Schleife abriss. Nachdem er die Verpackung aufgerissen hatte, hielt er ein Paar Wintertags-Socken, einen Pullover sowie einen dazu passenden Schal und eine Mütze in den Händen. Das war weiter noch nicht außergewöhnlich, bis der Kleine sich nach seinen Freunden umsah, um das neue Outfit stolz zu präsentieren.
    Am Rande der Straße saß ein Mann mittleren Alters und beobachtete das bunte Treiben mit einem stummen Lächeln. Seine dünne Kleidung hatte schon bessere Tage gesehen und war an vielen Stellen schon löchrig. Auch der Junge schien auf den Mann aufmerksam geworden zu sein, denn ohne lange zu zögern, ging er auf den Fremden zu: „Ihr müsst frieren, bitte nehmt das.“ Mit diesen Worten überreichte er die nagelneue, warme Wintertags-Kleidung. Zunächst zögerlich, als würde er der Sache nicht ganz trauen, erhob sich der Mann und nahm das Kleidungspaket entgegen. Der Junge strahlte ihn aus großen Augen mit einem breiten Lächeln an. Der Beschenkte öffnete seinen Mund, doch er brachte kein Wort hervor. Stattdessen wurden die Augen des Mannes wässrig. „Na los, probiert schon an“, ermunterte ihn der Junge nochmals ungeduldig. Schnell zog der Mann die Winterkleidung über und schließlich umarmte er den Kleinen. Eine einzelne Träne kullerte dabei über seine Wange.

  • 14. Dezember


    Arekk ging ein paar Schritte auf die beiden zu. Als sie ihn erwartungsvoll anblickten, sagte er: „Was Du gerade getan hast – Dein Geschenk weiterzugeben, die Freude zu teilen und einen anderen Menschen glücklich zu machen –, zeichnet Dich sehr aus. Du hast wahre Größe bewiesen, mein Kleiner! Wenn jeder nur ein kleines bisschen denken und handeln würde wie Du, wäre unsere Welt eine ganz andere. Teilen ist wundervoll und an Andere zu denken, ist nicht selbstverständlich. Ich bin mir sicher, dass jedes Mal, wenn man gibt, ein Teil zurückgegeben wird. Außerdem würde ich mich sehr freuen, wenn ein so toller Kerl wie du auch zum großen Fest in Löwenstein käme, damit wir gemeinsam den Wintertag feiern können. Selbstverständlich kannst Du auch gerne Deinen neuen Freund mitbringen.“ Mit diesen Worten und einem letzten Zwinkern wendete er sich ab und ging schnellen Schrittes der Menge hinterher, die bereits weiter in Richtung Kronpavillon gezogen war. Was die beiden frischgebackenen Freunde miteinander besprachen, hörte er schon nicht mehr. Und doch hatte er ein angenehm warmes Gefühl ums Herz und seine Laune war bestens, all der Stress und die Mühen waren in diesem Moment unbedeutend.

  • 15. Dezember


    Die weiteren Tage in Götterfels vergingen wie im Flug und fast war Arekk ein wenig traurig, dass er den winterlich verzauberten Sitz Königin Jennahs hinter sich lassen musste. Zugleich freute er sich, die nächste Hauptstadt zu besuchen. Das finale Ziel ihrer Reise war schließlich Löwenstein. So trat er gemeinsam mit Nuaana durch das Asura-Portal im Viertel Rurikstadt, welches sie direkt in die Ebonfalke-Festung beförderte. Von dort aus folgten sie der Straße nordwärts durch Ascalon, bevor sie letztendlich die Schwarze Zitadelle erreichen würden. So lautete zumindest ihr Plan …
    Gerade hatten die Asura die Brücke am Lamia-Morast südlich der Stadt Ascalon überquert, als sie gedämpft das Klirren von Waffen und Schreie vernahmen. Ohne Zweifel, dort vor ihnen lag eine Schlacht und sie war im vollen Gange. Arekk und Nuaana blickten sich an, offenbar hatten sie denselben Gedanken: Entweder mussten sie die Schlacht umgehen oder mitten hindurch. Und der große Geschenkesack, den sie hinter sich herzogen, machte ihre Lage nicht gerade einfacher. Sie setzten sich auf einen umgestürzten Baum am Straßenrand und ließen eine Weile lang ratlos die Blicke über die winterliche Landschaft schweifen. Und gerade als Arekk schon vorschlagen wollte umzukehren und ein Asura-Portal direkt in die Schwarze Zitadelle zu nehmen, räusperte sich Nuaana: „Hast Du nicht im letzten Jahr auch eine ähnliche Situation erlebt?“ „Natürlich! Warum bin ich denn nicht gleich darauf gekommen – der Wintertags-Frieden …“

  • 16. Dezember


    Arekk kramte in dem Jutesack herum. Er verschwand so tief darin, dass nur noch seine Füße zu sehen waren. Der Sack war gut doppelt so groß wie er selbst und ließ sich nur dank der raffinierten Fertigung und Verzauberung überhaupt bewegen. Endlich hatte er gefunden, wonach er gesucht hatte. In seinen Händen hielt er einen länglich-runden Gegenstand und eine riesige, goldene Sanduhr. Nuaana stand das Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. „Okay … und was möchtest du damit jetzt genau erreichen?“ Ohne zu antworten zog Arekk den Sack wieder zusammen und warf ihn sich über die Schulter, drückte ihr die Sanduhr in die Hand und stapfte zielstrebig auf die Geräusche des Schlachtgetümmels zu. Nuaana beeilte sich, um mit ihm Schritt halten zu können, und versuchte doch noch eine Antwort aus Arekk herauszubekommen – ohne Erfolg. Stattdessen legte Arekk den Sack ab, nahm ihr die Sanduhr aus den Händen und drehte den Gegenstand. Das Letzte, was noch zu erkennen war, waren die Umrisse des kleinen Wichtels, der mit der Sanduhr unter dem Arm die Straße entlangsprintete. Nuaana hörte noch seinen Ruf: „Nimm den Geschenkesack und folge dem Weg. Warte nicht auf mich, ich werde zu Dir aufschließen!“

  • 17. Dezember


    Nuaana hatte kein Gefühl dafür, wieviel Zeit vergangen war, bis die Dunkelheit vor ihren Augen endlich wieder dem Tageslicht wich – oder dem, was an Licht geblieben war. Der Himmel hatte sich fast komplett verdunkelt, nur ein riesiger, goldener Stern, um den tausende bunte Lichter tanzten, verbreitete einen sanften Lichtschimmer. In diesem Schein stand Arekk auf einer schmalen Säule inmitten des Schlachtfelds, auf dem die Charr der Flammen-Legion gegen die Mitglieder der übrigen Legionen gekämpft hatten. Unter ihm stand die goldene Sanduhr, welche die Säule abschloss. Er erhob seine Stimme, magisch verstärkt hallte sie über das ganze Feld. Das Kampfgetümmel war für einen Augenblick zum Stillstand gekommen und eine gespannte Stimmung lag in der Luft. Alle Aufmerksamkeit galt dem Asura auf der Säule. „Soldaten der Legionen, hört mich an! Ich habe Euch eine Nachricht zu übermitteln. In Gedenken an alle gefallenen Brüder und Schwestern und in Erinnerung an den Frieden des Wintertags rufe ich Euch auf: Lasst die Waffen ruhen, solange der Sand in dieser Sanduhr fällt!“ Einige Soldaten waren so überrascht von der Dunkelheit und diesem kleinen Wichtel, dass ihre Waffen ihrem Griff entglitten und mit einem Scheppern zu Boden fielen. Alle starrten gebannt zu der Sanduhr auf, unfähig zu einer Reaktion und auf der Suche nach einer Erklärung. Arekk sprach weiter: „Lasst uns alle diesen Konflikt niederlegen. Ist nicht das Blutvergießen ohne Nutzen? Habt Ihr nicht schon genug Kameraden verloren? Wer profitiert von diesem Kampf, außer dem Tod? Redet miteinander, lernt den selbsterklärten Feind kennen. Ihr seid nicht so verschieden, wie es Euch immer eingebläut wurde. Feiert den Wintertag gemeinsam und habt Teil am friedlichen Zauber!“ Mit diesen Worten schimmerte das Bild des Asura, es flackerte und im nächsten Augenblick war er verschwunden.

  • 18. Dezember


    Erst als Nuaana in Rauchheim angelangt war, holte Arekk sie endlich wieder ein. Schon aus einiger Entfernung begrüßte sie ihn: „Na, wenn das kein Erfolg war! Du verrückter Kerl … Wie kannst Du mich einfach so stehen lassen?! Und wie lange, meinst Du, wird es dauern, bis sie erkennen, dass der Sandstrom niemals endet?“ Sie lachten – die alberne Erfindung, die sie eines Abends im Labor gebastelt hatten, war als Streich gedacht. Dass jetzt scheinbar ein Kampf zwischen den Legionen mit einer Sanduhr beigelegt wurde, hätten sie niemals für möglich gehalten. Es musste also ein Quäntchen Wahrheit hinter dem Zauber des Wintertags stecken. Von den jüngsten Erlebnissen angetrieben, erfreuten die Wintertags-Wichtel in den nächsten Tagen die Bewohner der Schwarzen Zitadelle mit den verschiedensten Geschenken. Von kleinen Dampf-Miniaturen für die Charr-Jungen, über reich verzierte Rüstungen bis hin zu neuen Werkzeugkits: Die Asura erhielten im Gegenzug viel Dank und schlossen einige neue Bekanntschaften.
    Fast war Arekk überrascht, wie schnell die Zeit verflogen war, denn nur noch ein Ziel lag auf ihrem Weg, bevor die beiden sich nach Löwenstein aufmachen wollten. Nachdem sie die schneebedeckten Wandererhügel durchquert hatten, wo sie an den Gehöften und Festungen Geschenke aus dem riesigen Wintertags-Sack verteilten, bereisten sie noch die nördlichen Zittergipfel. Als sie schließlich am späten Abend Hoelbrak erreichten und durch die Schneesturzschlucht traten, bot sich ihnen ein Bild, das ihnen eine Gänsehaut über den Rücken fahren ließ. Die Hologramme am Platz der Macht bildeten gigantische Zeichen am Himmel und die Straßen unter ihnen waren gesäumt von winterlich geschmückten Bäumen, die in den verschiedensten Farben erstrahlten. Die beiden Asura waren durchgefroren und so suchten sie die Nähe des wärmenden Feuers in der Halle der Legenden. Das prasselnde Feuer war angenehm und die tanzenden Flammen zu beobachten, sehr beruhigend. Arekk hätte stundenlang in die Feuerstelle starren können, doch die Ruhe währte nicht lange.

  • 19. Dezember


    Fetzen einer lauten Auseinandersetzung drangen an die Ohren der zwei Asura. Das war das letzte, was Arekk jetzt gebrauchen konnte … Gemeinsam mit Nuaana erhob er sich vom Feuer. Es war nicht schwierig, den Geräuschen zu folgen. Sie gingen den Hügel hinab und wurden fast von einer Norn überrannt, die mit wutentbrannter Miene aus der Halle des Wolfes stürzte. Die Norn stand am Rand des Abhangs und trat nach einigen kleinen Steinen, während sie laut hörbar ausatmete. „Dieser arrogante, aufgeblasene Flohbeutel eines Wolfswelpen! Was weiß der schon von Geschichte und Ehrbarkeit?!“ Vorsichtig näherten sich Arekk und Nuaana. Die weißen Haare wehten der Norn um das dunkle Gesicht, ihre Augen waren zu Schlitzen verengt. „Exzelsior! Ihr habt euch gerade mit jemandem gestritten? Was war der Grund und von welchem ‚Flohbeutel‘ sprecht Ihr?“ Offenbar aus ihren Gedanken gerissen drehte sich die Norn um und musterte die beiden Asura, die ihr gerade einmal bis an den Bauch reichten, mit einem skeptischen Blick. „Was geht Euch diese Angelegenheit an? Ich komme schon sehr gut alleine zurecht. – Na los, schert Euch fort!“