Noch 67 Tage bis zur Ankunft in Kryta im Jahr 506 nach der
Verbannung in die Nebel
Liebes Tagebuch,
heute war es einmal notwendig, meine Werkstatt zu putzen.
Man kann sich nicht vorstellen, wie viel undefinierbares Zeug sich im Laufe
der Zeit in den Ecken ansammelt. Allein die Krusten aus abgebröckeltem
Candy-Corn und die Reste freier Magie sind eine echte Herausforderung.
Glücklicherweise hatte ich noch ein paar Orichalcum-Spitzhacken vom letzten
Jahr übrig. (Immer, wenn der Hof der Verrückten in Löwenstein weilt, kaufe ich
mir etliche von den Dingern. Alles andere versagt gegen dieses diamantharte
Zuckerzeug.)
Ich kehrte gerade eine weitere Ecke aus und fegte die Brösel
auf den asuragroßen Dreckhaufen in der Mitte meiner Werkstatt, als es klopfte.
Ein höfliches und zurückhaltendes Klopfen wohlbemerkt, welches einen Großteil
der Wesen am Hof der Verrückten ausschloss. Außerdem trat niemand ein.
Neugierig geworden legte ich den Besen zur Seite und öffnete die Tür. „Darf ich
eintreten, um mit dir ein paar Worte zu wechseln?“, frage mich der Herold Bruce. Natürlich, ich hätte es ahnen sollen. Er ist so ziemlich der Einzige am
Hof, der tatsächlich über Manieren verfügt – abgesehen von mir, versteht sich.
Allein das ist ein Grund, warum Bruce vielen unsympathisch ist, wobei das auch
daran liegt, dass er als intriganter Speichellecker gilt, der bereits etliche
Schicksale am Hof auf dem Gewissen hat. Ein Vorzeigediplomat für unseren KÖNIG
also.
„Komm rein und pass auf, dass du nicht an den Zuckerklumpen
festklebst. Die Magie in den Dingern hält dich die nächsten Hundert Jahre am
Boden fest“, warnte ich ihn und wies ihn, sich zu setzen.
„Es geht um deine Arbeit gestern“, ließ Bruce die Skritt aus
der Kiste.
Was war damit? Dank der Hilfe des Charrjungen hatte ich die
Candy-Corn-Knoten in Aschfurt vermutlich in Rekordzeit aufgestellt, seit
Beginn der Kalenderaufzeichnung hier am Hof. Und dass ich dem Charr schließlich
einen kleinen dauerhaften Candy-Corn-Knoten für seinen Vorgarten als Lohn für
seine Dienste gegeben hatte, dürfte niemandem aufgefallen sein. Außer meiner
Wenigkeit interessierte sich doch absolut niemand dafür, wie viele von den
Dingern hier noch herumstanden und einstaubten.
„Du warst zu schnell fertig“, erklärte Bruce mir und grinste
dabei. Bis dahin war der Mann mir noch sympathisch gewesen. Erzählte mir etwas
davon, dass er recherchiert hätte. Bei Leuten, die sich mit Magie und
Überwachungssystemen auskennen und so. Dann hielt er mir ein Stück
Metallplatte unter die Nase, auf der das geätzte Bild meiner Wenigkeit auf
dem Rücken eines dürren Charr zu erkennen war. Auf dem Bild sah das Junge noch
dürrer und verwachsener aus, als ich es in Erinnerung hatte.
„Du weißt, was es bedeutet, wenn Zivilisten aus der Welt der Lebenden von Tyria uns vor der Zeit sehen?“
Ich hasse dieses scheinheilige Pockengesicht von einem
Menschen! Natürlich weiß ich das! Wenn die Tyrianer mitbekommen, dass es
einigen geringen Angehörigen des Hofs der Verrückten möglich ist, bereits zwei
Monate vor der Zeit nach Tyria zu kommen, würde sofort jeder halbwegs ambitionierte
Asura einen Weg suchen, uns alle gleich ganz auszusperren.
„Was willst du, Bruce?“, fragte ich ihn, denn dass er etwas
wollte, war klar. Ansonsten wäre Bruce nicht zu mir in die Werkstatt gekommen,
sondern hätte mich mit seiner Anklage gleich vor den Hof gezerrt. „Einen
Gefallen.“ – Genauer gesagt, dass ich ihn in nächster Zeit zu Diensten sein
würde.
Was sollte ich machen? Ich brauchte diese Druckplatte, ansonsten wäre
mein Ruf am Hof nachhaltig ruiniert. Der einzige Trost war, dass der Herold auf dem Weg aus
meiner Werkstatt in einen kleinen Haufen Zuckerzeug trat und den Rest des Weges
in seine Gemächer barfuß zurücklegen musste.