„Ich kann noch immer nicht glauben, dass Du tatsächlich
jemandem aus Tyria begegnet bist!“, erklang Rijjas Stimme blechern aus den
Eingeweiden seiner seltsamen MIST-Maschine.
„Es waren zwei“, stellte Cirro richtig und freute sich
darüber, zum ersten Mal in seinem Leben wirklich wichtig zu sein.
„Egal.“ Riijas kleiner Kopf tauchte aus einer Luke auf und
war bis zu den Ohren besudelt mit Staub und Schmierfett. „Du bist jetzt ein
Held, Cirro! Endlich kommen wir hier alle raus aus diesem Nebelloch und wieder zurück
in unsere Welt.“ Rijja seufzte melancholisch. „Jetzt, wo es soweit ist,
überkommt einen doch fast so etwas wie Bedauern, nicht wahr? Zurück nach Tyria!
Und im besten Fall werden wir dort alt und sterben irgendwann. Oh, ich habe so
die Ohren voll von dieser grauen Unsterblichkeit!“
Schweigend hörte Cirro dem kleinen Asura zu. Es schien ihm
nicht richtig, dazu etwas zu sagen, und was hätte er auch sagen sollen? Aber
endlich kein ewig verdammtes Kind mehr sein zu müssen, klang verheißungsvoll.
„Ich werde endlich erwachsen“, stellte Cirro schließlich erstaunt fest und
starrte zu Rijja in seiner MIST-Maschine hoch. Unter den großen Kulleraugen des
Asuras breitete sich plötzlich ein freundliches Lächeln aus, das die kleinen,
spitzen Zähnchen erkennen ließ. „Ja, Cirro. Ich werde alt werden und Du endlich
erwachsen. Dank dieser hübschen roten Wollmütze, die Du mitgebracht hast.“
Mitten auf der Piazza stand eine schwer bewaffnete Gestalt
in zerlumpter Kleidung mit Kürbis auf dem Kopf und spielte mit einer Schar angetrunkener
Leute eine kuriose Version von "Simon sagt". Nur, dass sich diese merkwürdige
Gestalt selbst als Verrückten König bezeichnete und alle Mitspieler, die einen
Fehler begingen, mit magischen Flüchen belegte.
„Da!“, raunte plötzlich Syrin zu Elna hinunter und zeigte
auf eine Gruppe Kinder – eines davon war der Junge aus den Nebeln. „Haben wir
das ausgelöst?“, fragte Elna leise und ein flaues Gefühl breitete sich in
ihrem Bauch aus. Was war hier geschehen? Auf Antworten hoffend, lief Elna auf
den Jungen zu, der ihr tatsächlich breit grinsend entgegenlief. „Danke! Auch
wenn Du das wohl nicht mit Absicht gemacht hast.“
„Was gemacht?“ Hecktisch sah sich Elna um. Syrin war ihr
noch nicht gefolgt – die Charr stand noch immer da und beobachtete das absurde
Treiben auf der Piazza.
Der Junge grinste. „Du hast Deine Mütze verloren, oder? Es
muss Deine sein, denn Deiner Katzenfreundin passt sie wohl kaum auf den Kopf.
Das hat ausgereicht, damit Rijja uns alle mit seinem komischen MIST-Gerät herbringen konnte.“ Der Junge strahlte. „Zurück nach Tyria!“
Übelkeit kam in Elna auf. Jetzt bloß einen kühlen Kopf
bewahren, wie Syrin es immer tat! „Uns alle?“
„Den ganzen Verrückten Hof! Und ich bin endlich frei und
kann erwachsen werden. Wie Du!“
Erwachsen werden? Wie sie? Dabei war Elna doch auch erst
achtzehn. Aber für einen zehnjährigen Jungen war das vermutlich der größte
Wunsch. „Wie lange warst Du denn weg?“
„Laaaaange! Ich habe irgendwann nicht mehr die Tage gezählt.
Und Jahre gibt es in den Nebeln nicht. Es ist so schön, wieder eine richtige
Sonne zu sehen!“
Das Traurige war, dass Elna diesen Jungen tatsächlich
verstand. Wie würde sie reagieren, wenn sie möglicherweise Jahrhunderte in den
Nebeln gefangen gewesen wäre? Vermutlich nicht anders. „Und Rijja hat Dich und
die anderen mit meiner Mütze hierhergeschickt? Wie hat er das gemacht?“
Wieder strahlte der Junge. In seiner Euphorie war er
augenscheinlich in Angeberlaune, wie es für Zehnjährige wohl typisch war.
„Rijja ist ein Asura und er ist schlau! Er hat diesen MIST gebaut und nun hat
er uns damit hergebracht. Und mit Deiner Mütze.“
Entweder hatte ein Asura versucht, stricken zu lernen, und
dabei einen ganzen Königshof aus den Nebeln gesprengt oder dieser Mist war
irgendeine Asuratechnologie mit einer abstrusen Abkürzung. „Was hat denn Rijja
für einen Mist gebaut?“, fragte Elna und kratzte sich ratlos am Kopf.
„Keine Ahnung, was …“
„Spricht da jemand über meinen multiinterdimensionalen
Sphärentranslokator? Cirro, an wen plauderst Du Geheimnisse aus?“
Die harsche Stimme eines Asuras zerschnitt das Gespräch und
sofort wurde der Junge knallrot und huschte davon.
„Du bist Rijja?“, fragte Elna und betete innerlich immer
wieder diesen Namen durch, um ihn ja nicht zu vergessen.
Multiinterdimensionaler Sphärentranslokator, multiinterdimensionaler …
„Geht Dich nichts an!“, blaffte der Asura, dann grinste er
finster. „Andererseits ist das alles ohnehin nicht von Belang. Wir sind endlich
frei und wieder in Tyria und es gibt nichts, was daran noch etwas ändern
könnte.“
Multiinterdimensionaler … „Kann ich meine Mütze wiederhaben?“
Der Asura schnaufte. „Nein!“ Damit schien für ihn das
Gespräch beendet und er wandte sich ab. Elna sah sich um. Auch Cirro war nicht
mehr zu sehen, dafür aber Syrin. „Wir haben ein Problem.“
Das hatten sie allerdings.
„TYRIANER! NUN VERBEUGT EUCH ALLE VOR EUREM WIEDERGEKEHRTEN
UND RECHTMÄßIGEN KÖNIG! NACH ZWEIHUNDERTFÜNFZIG JAHREN HABT IHR ERNEUT DIE EHRE,
MIR ALLE ZU DIENEN! FÜR IMMER!“ Die Erscheinung mit dem Kürbiskopf lachte auf,
abgesehen von unsicherem und peinlich berührtem Gekicher allerdings niemand
sonst. „WIE?! NIEMAND FREUT SICH ÜBER MEINE ANKUNFT? WAS FÜR EIN SAULADEN!
KERNEL, VERHAFTET SIE UND WERFT SIE MEINEM LABYRINTHSCHRECK ZUM SPIELEN VOR!“
Eine Art riesiges Elementarwesen aus Zuckerzeug trat vor und
packte einen kreischenden Asura. Elna wandte den Blick ab und krallte sich in
Syrins gesträubtes Fell, das ihren Schweif aussehen ließ wie eine
Flaschenbürste. „Bei den Göttern! Was haben wir getan!“
„Kein Wort zu niemandem! Noch können wir nicht wissen, ob
wir etwas getan haben, und bis dahin lautet der Befehl Stillschweigen!“ Syrin
fauchte leise und zog Elna mit sich. „Ein irrer Monarch, der in Großbuchstaben
spricht. Ich würde sagen das ist der Verrückte König, von dem dieser Junge
erzählt hat. Lass uns zu unserem Asura gehen. Immerhin kennt der sich mit
dieser ganzen Nebelsache und dem Geisterschloss am besten aus.“
Elna nickte nur. Sprechen konnte sie nicht mehr – dafür
steckte ein zu gewaltiger Kloß in ihrem Hals fest. Syrin hatte für die Charr auskundschaften
wollen, ob sich in den Nebeln eine Gefahr verbarg. Nun hatten sie beide diese
Gefahr mit nach Tyria gebracht.